Die wirtschaftlichen Aussichten für die EU erscheinen düster, doch bei manchen Mitgliedern läuft es besser als bei anderen. Südeuropa überholt derzeit den reicheren Norden beim Wachstum.

Während die deutsche Wirtschaft ins Stocken geraten ist, erlebt zum Beispiel Italien einen unerwarteten Aufschwung. Die Deutsche Welle titelte sogar: „Überholt Italien Deutschland als Wirtschaftsmacht Europas?“ Klingt utopisch, doch was steckt dahinter?

Im letzten Quartal 2023 wuchs die italienische Wirtschaft um 0,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, während die deutsche Wirtschaft im gleichen Zeitraum um 0,3 Prozent schrumpfte. Insgesamt war Italiens Wirtschaft im vergangenen Jahr um 0,9 Prozent gewachsen, deutlich über den Regierungsprognosen, die deutsche Wirtschaft dagegen war hinter die früheren Prognosen der Ampel-Regierung zurückgefallen und um 0,3 Prozent geschrumpft.

Für Deutschland geht es wirtschaftlich schon etwas länger bergab. Zuletzt haben die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute ihre Prognosen für 2024 gesenkt, weil Exporte zurückgehen und die inländische Nachfrage nicht anzieht. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) soll in diesem Jahr nur um 0,1 Prozent wachsen. Vor sechs Monaten war noch die Rede von 1,3 Prozent.

Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie ist Deutschland kaum gewachsen, nachdem sich die Produktion im verarbeitende Gewerbe durch einen Anstieg der Energiepreise verlangsamt hatte. Auch Italien rechnete mit besonders harten Zeiten. Ob sich das verändert hat?

06.04.2024

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05.04.2024

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Fakt ist: Südeuropäische Länder waren weniger stark von der Abschwächung in der Produktion und dem Verlust von relativ billigem russischem Gas betroffen und haben von einem Aufschwung im Tourismus nach der Aufhebung der Corona-Beschränkungen profitiert. Das gilt vor allem für Italien.

Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (Fratelli d’Italia) zeigt sich in den letzten Pressekonferenzen begeistert über die positive Tendenz ihres Landes. Mit ihrer Regierung habe sie wieder politische Stabilität in Italien gebracht, was der Grund für das Wirtschaftswachstum sei, behauptet sie.

Obwohl viele EU-Mitglieder sich wegen einer rechten Regierung in Italien Sorgen machen, hat Meloni mittlerweile international auch Anerkennung gewonnen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) rollte für sie den roten Teppich im Kanzleramt aus, und mit der EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) ist jedes Treffen eine herzliche Umarmung. Der amerikanische Präsident Joe Biden küsste sie sogar auf die Stirn, was in Italien zu Kritik führte.

Wie viel Meloni steckt aber wirklich hinter der wirtschaftlichen Entwicklung Italiens? Geht es um die Wirtschaftspolitik, scheint die Ministerpräsidentin lediglich in die Fußstapfen ihres Vorgängers Mario Draghi zu treten und verfolgt weiter seine Politik. Doch wie beeindruckend ist das Wachstum?

„Es gibt kein relevantes Wachstum in Italien“, kommentiert der italienische Wirtschaftswissenschaftler Nino Galloni in einem Gespräch mit der Berliner Zeitung. Die letzten Zahlen hätten einen falschen Eindruck hinterlassen, ordnet er kritisch ein. Die deutsche Wirtschaft sei derzeit einfach stärker von der Krise betroffen, deswegen sehe es so aus, als würde Italien gedeihen.

#WATCH 🔴 #Biden kissed the hair of Italian Prime Minister Giorgia #Meloni after the meeting at the White House pic.twitter.com/hBOydmGag7

Ein Blick auf die Staatsfinanzen bestätigt: Das Wachstum Italiens beruht hauptsächlich auf einer zunehmenden Verschuldung. Vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie betrug die Neuverschuldung des italienischen Staates noch 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In den letzten Jahren ist diese jedoch deutlich angestiegen und erreichte im ersten Halbjahr 2023 8,3 Prozent des BIP. Insgesamt beläuft sich die Staatsverschuldung Italiens auf 137,3 Prozent des BIP, während der europäische Durchschnitt bei 90 Prozent liegt. In Deutschland lag die sogenannte Schuldenquote 2023 bei 63,7 Prozent.

Unter anderem begann die damalige Regierung von Giuseppe Conte im Mai 2020 die Energiesparmaßnahmen zu fördern, was auch als „Superbonus“ bezeichnet wird. Hausbesitzer erhielten Steuervergünstigungen oder direkte Rabatte für Renovierungsarbeiten, die die Energieeffizienz ihrer Immobilien verbesserten. Dies gab der italienischen Wirtschaft einen deutlichen Schub. „Genau das hat den Unterschied gemacht zwischen Italien und den anderen EU-Mitgliedern“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Galloni. Insgesamt gab der italienische Staat fast 150 Milliarden Euro für den Bonus aus.

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Das Programm stieß jedoch bereits mit Contes Nachfolger Mario Draghi auf Kritik. Der Superbonus würde jeglichen Anreiz für Preisverhandlungen bei den Arbeiten beseitigen, was zwangsläufig inflationsbedingte Auswirkungen haben werde, hieß es. Doch erst mit Meloni wird das Programm jetzt stufenweise zurückgefahren.

„Ich glaube, dass Meloni das italienische Wachstum eigentlich verlangsamt hat“, kritisiert Galloni. Neben der Abschaffung des Superbonus habe sie auch dem Bürgergeld ein Ende gesetzt, danach kam es jedoch zu keinem positiven Einfluss auf die Gehälter.

Zugleich ist Italien einer der größten Empfänger des Wiederaufbaufonds Next Generation EU, der während der Pandemie beschlossen wurde. Rund 200 Milliarden Euro soll das Land bis zum Jahr 2026 in Form von Subventionen und Krediten erhalten. „Dieses Geld muss Italien dann mit Verpflichtungen zurückgeben, die es nicht einhalten kann“, erklärt Galloni.

Sein Fazit: Das italienische Wachstum sei nicht hoch genug, um die Schulden auszugleichen. Italiens kleines „Wirtschaftswunder“ ist demnach nur die Ruhe vor dem Sturm. Unabhängig von geopolitischen Ereignissen stehe Meloni vor harten Zeiten, sagt der Wirtschaftswissenschaftler voraus.

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Der Vergleich des Landes mit Deutschland, das trotz der Rezession beim BIP pro Kopf oder etwa bei der Arbeitslosenquote immerhin besser aufgestellt ist als Italien, hinkt. Eine neue Wirtschaftsmacht wird Italien erst mal nicht. Wo Deutschland jedoch wirklich von Italien abgehängt ist: beim Median-Nettovermögen pro Kopf. Der Median zeigt das Vermögen der Mitte einer Gesellschaft und bietet ein klares Bild der Vermögensverteilung in Deutschland. Ein mittlerer Haushalt in Italien verfügt nach Angaben der Europäischen Zentralbank (EZB) über 161.062 Euro, in Deutschland dagegen nur über 106.206 Euro. Das ist ein Zeichen dafür, dass in Deutschland extreme soziale Ungleichheit herrscht.

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Heikler Vergleich: Überholt Italien Deutschland als stärkste Wirtschaftsmacht Europas?

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08.04.2024

Die wirtschaftlichen Aussichten für die EU erscheinen düster, doch bei manchen Mitgliedern läuft es besser als bei anderen. Südeuropa überholt derzeit den reicheren Norden beim Wachstum.

Während die deutsche Wirtschaft ins Stocken geraten ist, erlebt zum Beispiel Italien einen unerwarteten Aufschwung. Die Deutsche Welle titelte sogar: „Überholt Italien Deutschland als Wirtschaftsmacht Europas?“ Klingt utopisch, doch was steckt dahinter?

Im letzten Quartal 2023 wuchs die italienische Wirtschaft um 0,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, während die deutsche Wirtschaft im gleichen Zeitraum um 0,3 Prozent schrumpfte. Insgesamt war Italiens Wirtschaft im vergangenen Jahr um 0,9 Prozent gewachsen, deutlich über den Regierungsprognosen, die deutsche Wirtschaft dagegen war hinter die früheren Prognosen der Ampel-Regierung zurückgefallen und um 0,3 Prozent geschrumpft.

Für Deutschland geht es wirtschaftlich schon etwas länger bergab. Zuletzt haben die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute ihre Prognosen für 2024 gesenkt, weil Exporte zurückgehen und die inländische Nachfrage nicht anzieht. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) soll in diesem Jahr nur um 0,1 Prozent wachsen. Vor sechs Monaten war noch die Rede von 1,3 Prozent.

Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie ist Deutschland kaum gewachsen, nachdem sich die Produktion im verarbeitende Gewerbe durch einen Anstieg der Energiepreise verlangsamt hatte. Auch Italien rechnete mit besonders harten Zeiten. Ob sich das verändert hat?

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