Deutschlands Tage als industrielle Supermacht sind gezählt: Für viele Betriebe bedeutet die Energiekrise den Todesstoß. Zu diesem Entschluss kommt die Wirtschaftszeitung Bloomberg, die in einem neuen Bericht ein furchterregendes Bild von den Zukunftsaussichten der deutschen Wirtschaft zeichnet. Der Gnadenstoß sei zuletzt der Wegfall der Lieferungen von billigem Erdgas aus Russland.

Besonders stark davon betroffen ist die chemische Industrie. Aufgrund der noch in den Anfängen stehenden Umstellung auf sauberen Wasserstoff erwägt nahezu jedes zehnte Unternehmen eine dauerhafte Einstellung von Produktionsprozessen, wie aus einer aktuellen Umfrage des Branchenverbands VCI hervorgeht. Europas größter Chemieproduzent, die BASF, plant den Abbau von 2600 Stellen, während Lanxess die Belegschaft um sieben Prozent reduziert.

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„Die Grundpfeiler des deutschen Industrieapparats sind wie Dominosteine umgefallen“, heißt es in dem Bericht. Die USA haben sich von Europa entfernt und konkurrieren nun mit dem Alten Kontinent um Klimaschutzinvestitionen. Auch China importiert immer weniger Industrieprodukte aus Deutschland und wird immer mehr zum Konkurrenten.

Seit dem Jahr 2017 ist die Produktion des verarbeitenden Gewerbes in Deutschland tendenziell rückläufig. Dazu kommt eine sinkende Wettbewerbsfähigkeit, die den Rückgang beschleunigt. Im vergangenen Jahr kam es im Industriebereich zu mehreren Schließungen – die Tendenz könnte anhalten. Das Ifo-Institut geht davon aus, dass die Zahl der Insolvenzen weiter steigen wird.

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08.02.2024

07.02.2024

gestern

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In Deutschland verzeichnete der Kreditversicherer Allianz Trade im Jahr 2022 erneut einen Anstieg bei den Insolvenzen großer Unternehmen. Laut den Angaben wird eine Insolvenz als groß betrachtet, wenn ein Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 50 Millionen Euro aufgibt.

In den ersten neun Monaten des Jahres wurden 45 solcher Fälle registriert, was in etwa dem Rekordjahr 2020 entspricht. 2020 markierte den höchsten Stand der Insolvenzen, mit damals 58 Großinsolvenzen im Gesamtjahr und 44 Fällen im Vergleichszeitraum in den ersten neun Monaten.

Dazu kommt in Europas größter Volkswirtschaft eine außergewöhnliche politische Instabilität. Bloomberg zufolge verstärkt die „politische Lähmung“ in Berlin nationale Probleme wie eine marode Infrastruktur, eine alternde Erwerbsbevölkerung und den bürokratischen Wust.

Zusätzlich sei auch das Bildungssystem aufgrund eines lang anhaltenden Mangels an Investitionen ein Problem, das nicht unterschätzt werden sollte. Die langfristigen Folgen wie beispielsweise ein höherer Fachkräftemangel könnten Billionen Euro an Wirtschaftsleistung kosten.

Der industrielle Abschwung verläuft in einigen Fällen fortschreitend, indem Expansions- und Investitionspläne zurückgefahren werden. In anderen Fällen sind hingegen die Verlagerung von Produktionslinien und Personalabbau vorgesehen. Die Ultima Ratio ist dann die endgültige Schließung des Unternehmens.

„Wir sind nicht mehr wettbewerbsfähig“, sagte Finanzminister Christian Lindner (FDP) vergangene Woche im Rahmen einer Bloomberg-Veranstaltung. Deutschland werde „immer ärmer, weil wir kein Wachstum haben, wir fallen zurück“, erklärte Lindner.

Insbesondere die Energiekrise spielt eine entscheidende Rolle. Trotz der Vermeidung der schlimmsten Szenarien wie ungeheizten Wohnungen und Rationierungen bleiben die Preise weiterhin über dem Niveau anderer Volkswirtschaften. In Europa zahlen nur italienische Firmen höhere Beträge. Diese Kostenbelastung kommt zu den bereits bestehenden Herausforderungen durch höhere Löhne und komplexere Vorschriften hinzu.

Der Bericht betont, dass Deutschland trotzdem noch nicht an der Endstation angekommen sei. Das Land habe noch viel Substanz, einschließlich einer beneidenswerten Reihe kleiner Hersteller. Die Bundesbank würde zudem zurückweisen, dass eine umfassende Deindustrialisierung bevorsteht. Doch die Reformen der Regierung sind jetzt auf Eis gelegt, und die nächsten Schritte sind eher unklar.

Deutschland wird ärmer, weil das Land nicht in der Lage ist, Wirtschaftswachstum zu generieren.

Dies sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner bei einer Bloomberg-Veranstaltung. https://t.co/eQ79wpZjq2 pic.twitter.com/u6qas9ooBc

Mitte November geriet die Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz in Verlegenheit, als das Verfassungsgericht den zweiten Nachtragshaushalt 2021 für verfassungswidrig und nichtig erklärte. Die Ampelkoalition steht vor einem erheblichen Problem, da ihr nun 60 Milliarden Euro fehlen, die für verschiedene Klimaschutzprojekte vorgesehen waren, darunter die Sanierung von Gebäuden und die Förderung der Elektromobilität.

Ursprünglich waren diese Mittel für die Bewältigung der schwerwiegenden Folgen der Corona-Krise gedacht und wurden durch eine Ausnahme von der Schuldenbremse bereitgestellt, was in Notsituationen verfassungsrechtlich erlaubt ist.

„Man muss kein Pessimist sein, um zu sagen, dass das, was wir bisher tun, nicht ausreichen wird, um die Wirtschaftsstruktur Deutschlands und unseren Wohlstand über die nächsten zehn Jahre zu erhalten“, sagte Volker Treier, der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), zu Bloomberg. „Die Geschwindigkeit des Strukturwandels ist schwindelerregend.“

QOSHE - Bericht: Ohne russisches Gas ist Deutschland keine industrielle Supermacht mehr - Franz Becchi
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Bericht: Ohne russisches Gas ist Deutschland keine industrielle Supermacht mehr

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10.02.2024

Deutschlands Tage als industrielle Supermacht sind gezählt: Für viele Betriebe bedeutet die Energiekrise den Todesstoß. Zu diesem Entschluss kommt die Wirtschaftszeitung Bloomberg, die in einem neuen Bericht ein furchterregendes Bild von den Zukunftsaussichten der deutschen Wirtschaft zeichnet. Der Gnadenstoß sei zuletzt der Wegfall der Lieferungen von billigem Erdgas aus Russland.

Besonders stark davon betroffen ist die chemische Industrie. Aufgrund der noch in den Anfängen stehenden Umstellung auf sauberen Wasserstoff erwägt nahezu jedes zehnte Unternehmen eine dauerhafte Einstellung von Produktionsprozessen, wie aus einer aktuellen Umfrage des Branchenverbands VCI hervorgeht. Europas größter Chemieproduzent, die BASF, plant den Abbau von 2600 Stellen, während Lanxess die Belegschaft um sieben Prozent reduziert.

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02.02.2024

„Die Grundpfeiler des deutschen Industrieapparats sind wie Dominosteine umgefallen“, heißt es in dem Bericht. Die USA haben sich von Europa entfernt und konkurrieren nun mit dem Alten Kontinent um Klimaschutzinvestitionen. Auch China importiert immer weniger Industrieprodukte aus Deutschland und wird immer mehr zum Konkurrenten.

Seit dem Jahr 2017........

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