Wer zählt die Völker, nennt die Namen? In Zeiten, in denen der Bau von Mauern und Zäunen schon länger wieder anhaltend Konjunktur hat, tut es gut, mal wieder die Grenzen sprengende Kraft des Pop zu erleben. Dürfen wir vorstellen? Laufey, gesprochen Ley-vey, eine chinesischstämmige Isländerin, die in Los Angeles lebt und Bossa Nova macht. Wo, wenn nicht hier, findet die Bezeichnung „Weltmusik“ wirklich einmal zu sich selbst? Mehr Welt als in der Person und der Musik dieser 24-jährigen Multiinstrumentalistin geht nicht.

Und mehr Hype natürlich auch nicht: Ihr Konzert im Astra Kulturhaus in Friedrichshain ist seit Wochen ausverkauft – ebenso übrigens wie jedes andere ihrer Deutschland-Tour. Die junge Frau ist ein Star aus dem Netz und über die Plattform TikTok berühmt geworden, wo sie es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Gen Z mit Swing und Jazz bekannt zu machen. Dies offensichtlich erfolgreich – ihr im Herbst erschienenes Album „Bewitched“ ist nach Abruf-Zahlen das erfolgreichste Debüt eines Jazzalbums in der Geschichte von Spotify.

Jetzt tritt sie also aus dem Handy heraus ins Leben. „I’ll Be Seeing You“ von Billie Holiday vom Band gibt den Ton und die Stimmung vor, ehe Laufey die Bühne entert. Flankiert von einem Streichquartett, Kontrabass und Schlagzeug inszeniert sie sich als Bossa-Diseuse alter Schule. Ihr tiefes Timbre kommt nicht aus dem Kehlkopf, sondern aus dem Bauch – von dort also, wo auch das Herz sitzt, was Zeilen wie „Everybody’s falling in love but me“ oder „You were my everything, I was your second best“ in ähnlich wärmende Melancholie hüllt, wie es die als Bühnenscheinwerfer dienenden überdimensionierten Leselampen tun.

Hope und ihr neues Album „Navel“: Das ist die Berliner Band, die mit Depeche Mode auf Tour war

28.10.2023

Giant Rooks mit ihrer Platte „How Have You Been?“: Diese Berliner Jungs begeistern die Welt

09.02.2024

gestern

•heute

•heute

gestern

26.02.2024

Die überwiegend jugendlichen Fans singen nahezu jedes Wort mit – weil Laufey ihre drei Millionen TikTok-Follower am Entstehungsprozess ihrer Songs teilhaben lässt, kennen sie nicht nur die Texte, sondern auch die Geschichten dahinter: Geschichten von ersten Begegnungen, zarten Liebesbanden und unerwiderten Gefühlen.

Es sind vor allem die infektiösen, synkopisch-swingenden und von Laufey selbst auf einer Halbresonanzgitarre gespielten Beats, die diesen Geschichten Flügel verleihen, und jeden, der nicht herztot ist, herausreißen aus seiner kleinen Welt – hinein in eine verrauchte Bar in Macao oder in Casablanca. Der Abend, man muss es aussprechen, ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

QOSHE - Laufey beim Berlin-Konzert im Astra Kulturhaus: Wärmende Melancholie - Christian Seidl
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Laufey beim Berlin-Konzert im Astra Kulturhaus: Wärmende Melancholie

7 1
28.02.2024

Wer zählt die Völker, nennt die Namen? In Zeiten, in denen der Bau von Mauern und Zäunen schon länger wieder anhaltend Konjunktur hat, tut es gut, mal wieder die Grenzen sprengende Kraft des Pop zu erleben. Dürfen wir vorstellen? Laufey, gesprochen Ley-vey, eine chinesischstämmige Isländerin, die in Los Angeles lebt und Bossa Nova macht. Wo, wenn nicht hier, findet die Bezeichnung „Weltmusik“ wirklich einmal zu sich selbst? Mehr Welt als in der Person und der Musik dieser 24-jährigen Multiinstrumentalistin geht nicht.

Und mehr Hype natürlich auch nicht: Ihr Konzert im Astra Kulturhaus in Friedrichshain ist seit Wochen ausverkauft – ebenso........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play