Auf dem Höhepunkt der Karriere von Oasis sang selbst Obi-Wan Kenobi eins ihrer Lieder – zumindest der Mann, der Obi-Wan Kenobi sein würde, Ewan McGregor also: Es war 1997 in dem Film „A Life Less Ordinary“ von Danny Boyle, als McGregor als juveniler Outcast, der gerade eben die von Cameron Diaz gespielte Tochter seines Chefs entführt hat, unvermittelt und in breitem nordenglischem Slang einen Song anstimmt: „Round are way the birds are singing, round are way the sun shines bright. Round are way the birds sing for ya, ’cause they already know ya …“

Es ist nicht überliefert, ob Danny Boyle, dem Hollywood nach dem Sensationserfolg mit „Trainspotting“ jeden Wunsch erfüllt und gewiss jede noch so teure Songlizenz besorgt hätte, tatsächlich just dieses Lied für diese Szene aussuchte, oder ob es Ewan McGregor während des Drehs spontan in den Sinn kam – auf alle Fälle spricht es für die unglaubliche Wucht, mit der Oasis seinerzeit ins Leben und Bewusstsein der Menschen gedrungen waren, dass der damals mutmaßlich meistgehypte Film des Jahres seinen Schwung aus einem Song bezog, „Round Are Way“ heißt er, der es im Werk der Band um den Songwriter Noel Gallagher nicht über eine B-Seite hinausgeschafft hatte.

B-Seiten, der Name sagt es schon, galten in der allgemeinen Wahrnehmung nicht als erste Ware, und meistens waren sie es auch nicht. Die Bezeichnung hielt sich auch, als die CD das Vinyl ablöste und man Singles nicht mehr umdrehen musste, die Musiker aber dennoch ein, zwei Tracks mit draufpackten, gern Live-Aufnahmen, Demo-Versionen, Remixe, meist aber schlicht Outtakes, nicht gut genug für einen Platz auf dem aktuellen oder kommenden Album.

„Round Are Way“, heute ein Pubrock-Klassiker, damals eine von drei B-Seiten der 1995 erschienenen Single „Wonderwall“ und darüber hinaus im Übrigen auch Inspiration für den Titel einer Oasis-Biografie von Mick Middles, fand nie auf ein Album. Nicht einmal auf ein Album mit den gesammelten B-Seiten von Oasis. Und das Irre ist: Das Album beziehungsweise natürlich die Band kann sich das leisten.

gestern

gestern

•vor 1 Std.

•heute

02.04.2024

„The Masterplan“ heißt dieses Album nach einer weiteren großartigen B-Seite von Oasis, zu der wir später noch kommen werden, und es steht seit kurzem in einer wunderschön editierten und selbstverständlich remasterten Jubiläumsausgabe als Doppel-LP in den Läden. Erstmals war es vor 25 Jahren erschienen – für eine Sammlung von Songs zweiter Wahl schon damals mit bemerkenswertem Chart-Erfolg, sogar in Amerika.

„Dein Kreuz gegen Hakenkreuze“: Ärzte-Song soll zum Wählen aufrufen

•vor 8 Std.

Rammstein-Plagiatsvorwürfe: Es gibt eine Vorgeschichte mit „Deutschland“

•vor 2 Std.

Heute gilt die Platte als eines der größten Alben, die nie eins waren – auf alle Fälle aber als Monument der in jeder Hinsicht verschwenderischen Fülle des Gallagher’schen Schaffens. Da ist etwa, gleich zur Eröffnung, das heroische „Acquiesce“, B-Seite, aber schon immer eigentlich bessere Hälfte von „Some Might Say“, der ersten Nummer-eins-Single von Oasis; da ist aber auch das elegant groovende „Going Nowhere“, das in Sachen kompositorischer Meisterschaft mit den besten Momenten von Burt Bacharach konkurriert; oder „Fade Away“, auf dem überschäumend poppige Melodiösität und Punk-Energie auf eine Art zusammenfanden wie seit den Buzzcocks nicht mehr. Songs solchen Kalibers hatten, nicht nur in der Britpop-Ära, die wenigsten Bands als A-Seiten im Katalog. Es spricht für Noel Gallagher, dass ihm das so damals nicht in den Sinn kam. „Proper songs for proper money“, lautete die Devise von Oasis. Wer in eine Oasis-Single investierte, sollte an keiner Stelle halbgares Zeug hören müssen.

Im Gegenteil schien Noel Gallagher, ähnlich wie Prince in seiner besten Zeit rund zehn Jahre zuvor, nach dem Grundsatz vorzugehen, dass der nächste Song immer der beste ist – die Form der Veröffentlichung mithin egal, auf alle Fälle: raus damit. Auf nahezu dramatische Weise beispielhaft dafür ist der Song „The Masterplan“: eine Ballade von epischer Brillanz, von Noel Gallagher ausnahmsweise selbst und nicht von seinem Bruder Liam gesungen, mit Bläsern, Streichern und allem, was das Leben sonst so gefühlsecht macht, dramaturgischer Höhepunkt des heute legendären Open Airs in Knebworth, als Oasis im August 1996 an zwei Abenden vor insgesamt 250.000 Menschen spielten – und noch heute zentraler Part im Live-Programm von Noel Gallagher mit seiner neuen Band The High Flying Birds.

Inzwischen, immerhin, sieht er „The Masterplan“ als den größten Moment seines Schaffens. In einem Interview von 2016 meinte Gallagher, schon damals habe ihn jeder auf der verdammten Welt gefragt, warum er einen Song wie „The Masterplan“ als B-Seite versenke. Er habe geantwortet, weil man ihn gebeten habe, eine B-Seite zu schreiben, „und das war es dann, was ich gemacht habe“. „The Masterplan“ landete übrigens ebenfalls auf der Single „Wonderwall“. Da war doch was? Genau! Obi-Wans Lieblingslied. Nicht dass es diese B-Seite also ganz unbedingt gebraucht hätte. Aber im Nachhinein kann man ja immer vieles sagen.

Liam Gallagher zum Beispiel sagt, dass, wenn er überhaupt irgendwas bereut im Leben, dann den Umstand, dass er „The Masterplan“ nicht gesungen hat. Wenn er ehrlich zu sich ist, muss er sich auch eingestehen, dass er seit dem Ende von Oasis keinen Song gesungen hat, der auch nur an deren schwächere Momente heranreicht, von den famosen B-Seiten gar nicht zu reden. Es scheint wie bei anderen britischen Pop-Brüdern zu sein, den Brüdern Davies von den Kinks oder den Brüdern Gibb von den Bee Gees, dass sie sich nur zusammen zu jenem magischen Amalgam verbinden, das sie aus der Masse, auch aus der ihrer Nachahmer herausragen lässt.

Jetzt hat Liam Gallagher mal wieder einen neuen Kombattanten gefunden, und es ist, wenn schon kein Bruder, dann zumindest ein Geistesbruder: John Squire, Gitarrist der ebenfalls aus Manchester stammenden Proto-Britpop-Band The Stone Roses, war für die Gallagher-Brüder in ihrer Jugend der liebe Gott und nicht zuletzt der Grund, selber eine Band zu gründen. Später, bei den schon erwähnten Knebworth-Gigs, stand er schon mal für ein, zwei Fender-Soli mit ihnen auf der Bühne. Ein Dream-Team also.

Noel Gallagher findet das Berliner Nachtleben „großartig“

04.06.2023

Noel Gallagher emanzipiert sich endgültig vom Oasis-Mythos

06.06.2023

Und tatsächlich knüpft das neue gemeinsame, schlicht „Liam Gallagher John Squire“ genannte Album bei beiden an alte Glorie an: Gallagher näselt langgezogene Melodieschleifen, während Squire, der schon immer eher dem Erbe von Led Zeppelin verpflichtet schien als dem der Beatles, seinen inneren Jimmy Page wiedererweckt. Das Ergebnis ist ein herrliches Album, das auf so ungebrochene, Post-Grunge, French House, Cloud Rap und mindestens zwei Disco-Revivals ignorierende Weise retro ist, dass man wirklich denkt, es sei 1994 verbuddelt und jetzt erst ausgegraben worden. Wie ein großes vergessenes Album aus jener Zeit.

Genau das gibt es natürlich: „The Masterplan“ heißt es. In jenem Interview von 2016 sagte Noel Gallagher auch: Hätte er nur einige der Songs aufgehoben, die er willkürlich als B-Seiten verpulvert hat, und zu einem regulären Oasis-Album kuratiert, das vielleicht sogar anstelle des weithin missratenen, drogenvernebelten „Be Here Now“ rausgekommen wäre – die Britpop-Party wäre weitergegangen, die Musikgeschichte wäre anders verlaufen, und womöglich noch mehr. Gallagher: „Es gäbe keinen Krieg in Syrien, die Welt wäre eine andere.“

Oasis: The Masterplan (Remastered Edition). 2 LPs (Big Brother Recordings/Membran)

Liam Gallagher & John Squire: Liam Gallagher John Squire (Warner Music). Columbiahalle, Columbiadamm 13–21, 4. April, 19.45 Uhr

QOSHE - Ein Fest für Britpop-Fans: Das größte Oasis-Album, das nie eins war - Christian Seidl
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Ein Fest für Britpop-Fans: Das größte Oasis-Album, das nie eins war

15 7
04.04.2024

Auf dem Höhepunkt der Karriere von Oasis sang selbst Obi-Wan Kenobi eins ihrer Lieder – zumindest der Mann, der Obi-Wan Kenobi sein würde, Ewan McGregor also: Es war 1997 in dem Film „A Life Less Ordinary“ von Danny Boyle, als McGregor als juveniler Outcast, der gerade eben die von Cameron Diaz gespielte Tochter seines Chefs entführt hat, unvermittelt und in breitem nordenglischem Slang einen Song anstimmt: „Round are way the birds are singing, round are way the sun shines bright. Round are way the birds sing for ya, ’cause they already know ya …“

Es ist nicht überliefert, ob Danny Boyle, dem Hollywood nach dem Sensationserfolg mit „Trainspotting“ jeden Wunsch erfüllt und gewiss jede noch so teure Songlizenz besorgt hätte, tatsächlich just dieses Lied für diese Szene aussuchte, oder ob es Ewan McGregor während des Drehs spontan in den Sinn kam – auf alle Fälle spricht es für die unglaubliche Wucht, mit der Oasis seinerzeit ins Leben und Bewusstsein der Menschen gedrungen waren, dass der damals mutmaßlich meistgehypte Film des Jahres seinen Schwung aus einem Song bezog, „Round Are Way“ heißt er, der es im Werk der Band um den Songwriter Noel Gallagher nicht über eine B-Seite hinausgeschafft hatte.

B-Seiten, der Name sagt es schon, galten in der allgemeinen Wahrnehmung nicht als erste Ware, und meistens waren sie es auch nicht. Die Bezeichnung hielt sich auch, als die CD das Vinyl ablöste und man Singles nicht mehr umdrehen musste, die Musiker aber dennoch ein, zwei Tracks mit draufpackten, gern Live-Aufnahmen, Demo-Versionen, Remixe, meist aber schlicht Outtakes, nicht gut genug für einen Platz auf dem aktuellen oder kommenden Album.

„Round Are Way“, heute ein Pubrock-Klassiker, damals eine von drei B-Seiten der 1995 erschienenen Single „Wonderwall“ und darüber hinaus im Übrigen auch Inspiration für den Titel einer Oasis-Biografie von Mick Middles, fand nie auf ein Album. Nicht einmal auf ein Album mit den........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play