Vor ein paar Tagen habe ich mich nach Gihad erkundigt. Gihad lebt in Deir El-Balah, einem Flüchtlingslager im Gazastreifen. Er gehört zu den Palästinensern, über die ich schrieb, als ich dort Korrespondentin war. Es ist vier Jahre her, aber es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, als wäre ich nie dort gewesen, als wüsste ich nichts.

Klar gebe ich Antworten, wenn mich jemand fragt, wie ich die Lage sehe, was ich zum Krieg sage. Aber während ich rede, merke ich, dass ich den Bezug verloren habe zu diesem nie lösbaren Konflikt, dass ich nicht mehr weiß, was wahr oder falsch ist, wem ich vertrauen kann.

Es kommt vor, dass ich bei meinen Gesprächspartnern eine gewisse Enttäuschung spüre, weil ich keine eindeutige Haltung beziehe. Eine Frau versuchte mir einzureden, der 7. Oktober habe auch mich traumatisiert, erinnere mich möglicherweise an den 11. September in New York. Ob ich davon geträumt hätte, wollte sie wissen.

Nee, sagte ich, aber dass ich besser aufhören sollte, kurz vorm Einschlafen noch Nachrichten über den Krieg auf dem Handy zu lesen. Das ist das, was ich mache: Artikel lesen von Menschen, die sich auskennen, nicht im Verdacht stehen, parteiisch zu sein, was in Zeiten des Krieges so gut wie unmöglich ist.

Der Mann, der sich beim Mossad einschleuste

15.04.2018

•vor 6 Std.

19.12.2023

gestern

•vor 2 Std.

18.12.2023

Den New-York-Times-Bericht über das Versagen der israelischen Geheimdienste am 7. Oktober habe ich verschlungen, aber einige Informationen darin wurden – jede Wette – vor Erscheinen von der Regierung in Israel geprüft. Einer der beiden Autoren ist der israelische Investigativjournalist Ronen Bergman. Für sein Buch „Der Schattenkrieg“ ist er dem Verdacht nachgegangen, ob Jassir Arafat vom Mossad ermordet wurde. Als ich Bergman 2018 interviewte und fragte, warum er die Antwort offenlässt, antwortete er: Selbst wenn er es wüsste, dürfe er es nicht sagen, wegen der Zensoren in Israel. Und das war lange vor dem Krieg.

Es gibt Momente, in denen der Bezug zurückkommt, für einen Moment wenigstens. Als ich meine Nachbarin aus Tel Aviv, die jetzt in Amsterdam lebt, besuche und sie sagt, Ali, ein anderer Nachbar, sei gestern erst da gewesen. Ali ist palästinensischer Israeli, seine Familie lebt in Tel Aviv und im Gazastreifen. Hier, im Ausland, berichtet mir meine Nachbarin, gebe er sich als Ägypter aus, wolle er weder als Israeli noch als Palästinenser erkennbar sein, nicht zwischen die Fronten des Krieges geraten.

Und dann ist da Gihad, der Mann, den ich im Flüchtlingslager im Gazastreifen besucht habe. Ich denke oft an ihn. Ob er fliehen musste, wo er ist, vor allem aber: ob er lebt. Ich frage Edna, eine Israelin, die mit ihm Kontakt hat. Sie antwortet sofort. Er lebe, zum Glück, aber es gehe ihm nicht gut. In seiner letzten Nachricht habe er um Geld gebeten.

Um Geld?

Ja, aber sie könne ihm von ihrem israelischen Konto keins nach Gaza überweisen. Aus Berlin sei es sicher möglich. Sie schickt mir eine Kontonummer, nicht seine, sondern die eines Freundes. Der Freund heißt Osama. Mehr weiß sie nicht. Und auch ich weiß mal wieder nichts. Ich habe einen Bericht über Flucht und Elend erwartet. Und werde gebeten, Geld nach Gaza zu überweisen. Auf ein Konto, das einem Freund gehören könnte oder der Hamas.

Wer ist Gihad? Warum braucht er Geld, wenn es in Gaza kaum Wasser gibt? Und muss ich das wissen, wenn ein Mann, der mitten in einem schrecklichen Krieg lebt, um einen Gefallen bittet?

Ich schreibe Edna, dass es mir zu heikel ist, Geld auf dieses Konto zu überweisen, und frage, ob sie nochmal von Gihad gehört hat. Nein, antwortet sie. Der Kontakt zu ihm sei abgerissen.

QOSHE - Krieg in Israel: Soll ich einem Mann im Gazastreifen aus Berlin Geld überweisen? - Anja Reich
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Krieg in Israel: Soll ich einem Mann im Gazastreifen aus Berlin Geld überweisen?

7 0
21.12.2023

Vor ein paar Tagen habe ich mich nach Gihad erkundigt. Gihad lebt in Deir El-Balah, einem Flüchtlingslager im Gazastreifen. Er gehört zu den Palästinensern, über die ich schrieb, als ich dort Korrespondentin war. Es ist vier Jahre her, aber es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, als wäre ich nie dort gewesen, als wüsste ich nichts.

Klar gebe ich Antworten, wenn mich jemand fragt, wie ich die Lage sehe, was ich zum Krieg sage. Aber während ich rede, merke ich, dass ich den Bezug verloren habe zu diesem nie lösbaren Konflikt, dass ich nicht mehr weiß, was wahr oder falsch ist, wem ich vertrauen kann.

Es kommt vor, dass ich bei meinen Gesprächspartnern eine gewisse Enttäuschung spüre, weil ich keine eindeutige Haltung beziehe. Eine Frau versuchte mir einzureden, der 7. Oktober habe auch mich traumatisiert, erinnere mich möglicherweise an den 11. September in New York. Ob ich davon geträumt hätte,........

© Berliner Zeitung


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