Geistschreiber

«Es ist moglich»

Mit spitzer Feder kommentiert der Geistschreiber das Geschehen in der Region, im Land, ja auf der ganzen Welt. Garantiert ohne KI.

Willi Näf 30.12.2023, 05.00 Uhr

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Inspiration aus unerwarteter Ecke (Bild aus dem WDR-Film «Eine einzige Tablette»)

Bild: WDR/Weber

Ich habe Otmar und Else besucht. Im Schwarzwald. Else hat den Fuss gebrochen. Nun zirkuliert das alte Paar an Stöcken und Rollator im Kurhaus zwischen Zimmer, Reha und Restaurant. Otmar ist Bauernbub und gelernter Automechaniker. Er hat zeitlebens hart gearbeitet und gut gewirtschaftet. Nun ist er neunzig, und seine jährliche Steuerrechnung ist weit höher als mein jährliches Bruttoeinkommen. Statussymbole sind trotzdem so wenig seins wie meins. Ihm fehlt die Eitelkeit und mir das Münz. Dass die Strasse, auf der ich zu Otmar fahre, keine Schlaglöcher aufweist, verdanke ich seinen Steuern, nicht meinen.

Kennengelernt haben wir uns, als ich für Otmars Unternehmen schrieb. Später wurden wir Freunde. Gemeinsam haben wir eine feine, kleine Biografie für seine Sippe erarbeitet. Beim Zmittag im Kurhaus plaudern wir nun über dies und das. Es macht Otmar Mühe, dass es reiche Mitmenschen gibt, die nicht aus Idealismus Stiftungen gründen, sondern um damit Steuern zu vermeiden: «Der Staat schaffte die Rahmenbedingungen, dank denen sie reich wurden, und nun entziehen sie ihm einfach seine Mittel, nur um sich selber als Wohltäter zu inszenieren.»

Nach dem Essen trinken wir im Zimmer einen Kafi und bereinigen den Lebenslauf, den ich an seiner Beerdigung vortragen werde. Else spielt auf dem iPad Tetris und hält den Fuss ruhig. «Behalt die Ohren steif» sage ich beim Abschied und umarme sie. Else lacht. «Ich will, ich kann, und es ist moglich.»

Sie sagt nicht möglich, sondern moglich. Mit o. Ich blicke verdutzt. Else erzählt: «Auf meiner Grundschule in Ulm, das war in den 60ern, organisierte unser Lehrer den Besuch eines Contergan-Kindes. Es hatte keine Unterarme und nur ein missgebildetes Händchen am Ellbogen. Aber es beherrschte trotzdem erstaunlich vieles. Und es sagte mit seinem slawischen Akzent diesen Satz, den ich nie vergessen habe: Ich will, ich kann, und es ist moglich».

Liebe Leserinnen und Leser, danke für Ihr Wohlwollen 2023. Falls das neue Jahr sich als harzig erweist, benutzen Sie ungeniert mehrmals pro Woche den Schlachtruf, den Else all die Jahrzehnte extra in ihrem Herzen gehütet hat, damit er heute seinen Weg zu Ihnen findet: «Ich will, ich kann, und es ist moglich.»

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Mit spitzer Feder kommentiert der Geistschreiber das Geschehen in der Region, im Land, ja auf der ganzen Welt. Garantiert ohne KI.

Ich habe Otmar und Else besucht. Im Schwarzwald. Else hat den Fuss gebrochen. Nun zirkuliert das alte Paar an Stöcken und Rollator im Kurhaus zwischen Zimmer, Reha und Restaurant. Otmar ist Bauernbub und gelernter Automechaniker. Er hat zeitlebens hart gearbeitet und gut gewirtschaftet. Nun ist er neunzig, und seine jährliche Steuerrechnung ist weit höher als mein jährliches Bruttoeinkommen. Statussymbole sind trotzdem so wenig seins wie meins. Ihm fehlt die Eitelkeit und mir das Münz. Dass die Strasse, auf der ich zu Otmar fahre, keine Schlaglöcher aufweist, verdanke ich seinen Steuern, nicht meinen.

Kennengelernt haben wir uns, als ich für Otmars Unternehmen schrieb. Später wurden wir Freunde. Gemeinsam haben wir eine feine, kleine Biografie für seine Sippe erarbeitet. Beim Zmittag im Kurhaus plaudern wir nun über dies und das. Es macht Otmar Mühe, dass es reiche Mitmenschen gibt, die nicht aus Idealismus Stiftungen gründen, sondern um damit Steuern zu vermeiden: «Der Staat schaffte die Rahmenbedingungen, dank denen sie reich wurden, und nun entziehen sie ihm einfach seine Mittel, nur um sich selber als Wohltäter zu inszenieren.»

Nach dem Essen trinken wir im Zimmer einen Kafi und bereinigen den Lebenslauf, den ich an seiner Beerdigung vortragen werde. Else spielt auf dem iPad Tetris und hält den Fuss ruhig. «Behalt die Ohren steif» sage ich beim Abschied und umarme sie. Else lacht. «Ich will, ich kann, und es ist moglich.»

Sie sagt nicht möglich, sondern moglich. Mit o. Ich blicke verdutzt. Else erzählt: «Auf meiner Grundschule in Ulm, das war in den 60ern, organisierte unser Lehrer den Besuch eines Contergan-Kindes. Es hatte keine Unterarme und nur ein missgebildetes Händchen am Ellbogen. Aber es beherrschte trotzdem erstaunlich vieles. Und es sagte mit seinem slawischen Akzent diesen Satz, den ich nie vergessen habe: Ich will, ich kann, und es ist moglich».

Liebe Leserinnen und Leser, danke für Ihr Wohlwollen 2023. Falls das neue Jahr sich als harzig erweist, benutzen Sie ungeniert mehrmals pro Woche den Schlachtruf, den Else all die Jahrzehnte extra in ihrem Herzen gehütet hat, damit er heute seinen Weg zu Ihnen findet: «Ich will, ich kann, und es ist moglich.»

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Willi Näf 30.12.2023, 05.00 Uhr

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Ich habe Otmar und Else besucht. Im Schwarzwald. Else hat den Fuss gebrochen. Nun zirkuliert das alte Paar an Stöcken und Rollator im Kurhaus zwischen Zimmer, Reha und Restaurant. Otmar ist Bauernbub und gelernter Automechaniker. Er hat zeitlebens hart gearbeitet und gut gewirtschaftet. Nun ist er neunzig, und seine jährliche Steuerrechnung ist weit höher als mein jährliches Bruttoeinkommen. Statussymbole sind trotzdem so wenig seins wie meins. Ihm fehlt die Eitelkeit und mir das Münz. Dass die Strasse, auf der ich zu Otmar fahre, keine Schlaglöcher aufweist, verdanke ich seinen Steuern, nicht meinen.

Kennengelernt haben wir uns, als ich für Otmars Unternehmen schrieb. Später wurden wir Freunde. Gemeinsam haben wir eine feine, kleine Biografie für seine Sippe erarbeitet. Beim Zmittag im Kurhaus plaudern wir nun über dies und das. Es macht Otmar Mühe, dass es reiche Mitmenschen gibt, die nicht aus Idealismus Stiftungen gründen, sondern um damit Steuern zu........

© Basellandschaftliche Zeitung


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