Schiblis Kopfsalat

Polo gegen Golf

Unfallmeldungen in der Zeitung enthalten – bei allem Schrecken – nicht selten auch etwas Komisches. Findet unser Kolumnist.

Sigfried Schibli 19.12.2023, 05.00 Uhr

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Schweizerhalle-Tunnel, 30. November: Ein Polo, ein Golf und ein Skoda kommen sich zu nah. Es handelt sich quasi um einen VW-Familienkrach – zum Glück nur mit zwei Leichtverletzten.

Bild: Polizei BL

Ich bekenne: Ich lese in der Zeitung gerne Unfallmeldungen. Dabei mag eine kindische Neugier mitschwingen, vielleicht gar eine Art von Schadenfreude, sicherlich eine Prise Sensationsgier – dieselbe Lust an Unglücksfällen, die einen unwillkürlich stehen bleiben lässt, wenn irgendwo ein Martinshorn der Feuerwehr oder der Ambulanz ertönt.

Unfallmeldungen der Polizei, die meist kaum bearbeitet den Weg in die Zeitungen finden, sind alles andere als trivial. Ich würde sie nicht gerade als hohe Literatur bezeichnen; doch lohnt sich oft ein Blick darauf, was genau drinsteht – und was nicht.

Als neulich im Schweizerhalle-Tunnel zwei Personenwagen ineinander krachten, stand in der Zeitungsmeldung minutiös genau, dass der Unfallverursacher ein Polo-Fahrer war, der seitlich mit einem Golf zusammenstiess, bevor dieser in einen Skoda prallte. Die Markennamen sind eigentlich völlig unwichtig, aber ich konnte mir den Gedanken nicht verkneifen, dass es sich da offensichtlich um einen Familienkrach handelte, denn alle drei Typen gehören dem Volkswagen-Konzern an.

Interessanter wird es, wenn von einem den Unfall verursachenden Fahrer hervorgehoben wird, dass er einen Porsche oder einen Maserati fuhr. Dann kann man sich die bittere Genugtuung der Leserin oder des Lesers vorstellen, sind doch Fahrerinnen und Fahrer solcher Sportwagen in der Regel eher wohlhabend. Das Reizwort «reicher Raser» liegt nicht fern, und Schadenfreude ist mit dem Neid verwandt und bekanntlich die schönste Freude.

Mal ist Kokain im Spiel, dann wieder Alkohol. In der kalten Jahreszeit, wenn Adventsfeiern und Schneeglätte eine unheilige Allianz eingehen, häufen sich Angaben zum Alkoholpegel der Unfallteilnehmer. So krachte am 1. Advent in Pratteln ein 27-Jähriger mit 1,4 Promille Alkohol im Blut in ein Betonelement. Erstaunlicherweise blieb hier die Automarke unerwähnt, während die Polizei bei einem anderen Zusammenstoss im Baselbiet sogar die Farben der Karossen erwähnte: Ein schwarzer BMW rammte einen weissen Range Rover. Das wird ganz schön teuer, dachte ich mitfühlend. Vor allem für den BMW-Piloten, der alkoholisiert gewesen sein soll.

Und was geschieht nach dem Unfall und nach der polizeilichen Aufnahme? Amüsant ist jeweils die Mitteilung, dass das eine oder andere Unfallfahrzeug «von einem Abschleppunternehmen abtransportiert wurde», nachdem es «auf dem Kopf liegend zum Stillstand gekommen» war. Ach so, ich dachte immer, das wird dann von der Fahrerin in die Handtasche gepackt und nach Hause getragen! Auch über das Alter der am Unfall Beteiligten werden wir oft informiert, das ist allemal gut zur Bestätigung von Vorurteilen wie «Alte fahren unsicher» und «Junge neigen zum Rasen».

«Man kann nicht nicht kommunizieren», schrieb der kluge Paul Watzlawick einst. Und recht hatte er: auch das Verschweigen ist eine Information, und manches Verweigern einer Antwort sagt mehr aus als eine beliebige Aussage. Das ist das eine, was ich im Lauf meiner Journalistenjahre gelernt habe. Das andere: Information ist immer selektiv.

Das gilt auch für Unfallberichte. Was so gut wie nie in diesen Meldungen steht, sind die Berufe und die Herkünfte oder Nationalitäten der Beteiligten. Auch ihr Zivilstand ist da kein Thema, ganz zu schweigen von der Augen- und Haarfarbe sowie der Körpergrösse und dem BMI-Wert. Die Polizei will um keinen Preis Vorurteile schüren. Was sie allerdings nicht daran hindert, eben doch gewisse konkrete Angaben zu den Unfallfahrern zu machen.

Zur Person

Sigfried Schibli ist Musikkritiker und Publizist, Hobbymusiker, Grossvater und Querbeet-Leser. Er nutzt seine Zeit für die Erholung vom Nachdenken.

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Unfallmeldungen der Polizei, die meist kaum bearbeitet den Weg in die Zeitungen finden, sind alles andere als trivial. Ich würde sie nicht gerade als hohe Literatur bezeichnen; doch lohnt sich oft ein Blick darauf, was genau drinsteht – und was nicht.

Als neulich im Schweizerhalle-Tunnel zwei Personenwagen ineinander krachten, stand in der Zeitungsmeldung minutiös genau, dass der Unfallverursacher ein Polo-Fahrer war, der seitlich mit einem Golf zusammenstiess, bevor dieser in einen Skoda prallte. Die Markennamen sind eigentlich völlig unwichtig, aber ich konnte mir den Gedanken nicht verkneifen, dass es sich da offensichtlich um einen Familienkrach handelte, denn alle drei Typen gehören dem Volkswagen-Konzern an.

Interessanter wird es, wenn von einem den Unfall verursachenden Fahrer hervorgehoben wird, dass er einen Porsche oder einen Maserati fuhr. Dann kann man sich die bittere Genugtuung der Leserin oder des Lesers vorstellen, sind doch Fahrerinnen und Fahrer solcher Sportwagen in der Regel eher wohlhabend. Das Reizwort «reicher Raser» liegt nicht fern, und Schadenfreude ist mit dem Neid verwandt und bekanntlich die schönste Freude.

Mal ist Kokain im Spiel, dann wieder Alkohol. In der kalten Jahreszeit, wenn Adventsfeiern und Schneeglätte eine unheilige Allianz eingehen, häufen sich Angaben zum Alkoholpegel der Unfallteilnehmer. So krachte am 1. Advent in Pratteln ein 27-Jähriger mit 1,4 Promille Alkohol im Blut in ein Betonelement. Erstaunlicherweise blieb hier die Automarke unerwähnt, während die Polizei bei einem anderen Zusammenstoss im Baselbiet sogar die Farben der Karossen erwähnte: Ein schwarzer BMW rammte einen weissen Range Rover. Das wird ganz schön teuer, dachte ich mitfühlend. Vor allem für den BMW-Piloten, der alkoholisiert gewesen sein soll.

Und was geschieht nach dem Unfall und nach der polizeilichen Aufnahme? Amüsant ist jeweils die Mitteilung, dass das eine oder andere Unfallfahrzeug «von einem Abschleppunternehmen abtransportiert wurde», nachdem es «auf dem Kopf liegend zum Stillstand gekommen» war. Ach so, ich dachte immer, das wird dann von der Fahrerin in die Handtasche gepackt und nach Hause getragen! Auch über das Alter der am Unfall Beteiligten werden wir oft informiert, das ist allemal gut zur Bestätigung von Vorurteilen wie «Alte fahren unsicher» und «Junge neigen zum Rasen».

«Man kann nicht nicht kommunizieren», schrieb der kluge Paul Watzlawick einst. Und recht hatte er: auch das Verschweigen ist eine Information, und manches Verweigern einer Antwort sagt mehr aus als eine beliebige Aussage. Das ist das eine, was ich im Lauf meiner Journalistenjahre gelernt habe. Das andere: Information ist immer selektiv.

Das gilt auch für Unfallberichte. Was so gut wie nie in diesen Meldungen steht, sind die Berufe und die Herkünfte oder Nationalitäten der Beteiligten. Auch ihr Zivilstand ist da kein Thema, ganz zu schweigen von der Augen- und Haarfarbe sowie der Körpergrösse und dem BMI-Wert. Die Polizei will um keinen Preis Vorurteile schüren. Was sie allerdings nicht daran hindert, eben doch gewisse konkrete Angaben zu den Unfallfahrern zu machen.

Sigfried Schibli ist Musikkritiker und Publizist, Hobbymusiker, Grossvater und Querbeet-Leser. Er nutzt seine Zeit für die Erholung vom Nachdenken.

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Sigfried Schibli 19.12.2023, 05.00 Uhr

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Schweizerhalle-Tunnel, 30. November: Ein Polo, ein Golf und ein Skoda kommen sich zu nah. Es handelt sich quasi um einen VW-Familienkrach – zum Glück nur mit zwei Leichtverletzten.

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Ich bekenne: Ich lese in der Zeitung gerne Unfallmeldungen. Dabei mag eine kindische Neugier mitschwingen, vielleicht gar eine Art von Schadenfreude, sicherlich eine Prise Sensationsgier – dieselbe Lust an Unglücksfällen, die einen unwillkürlich stehen bleiben lässt, wenn irgendwo ein Martinshorn der Feuerwehr oder der Ambulanz ertönt.

Unfallmeldungen der Polizei, die meist kaum bearbeitet den Weg in die Zeitungen finden, sind alles andere als trivial. Ich würde sie nicht gerade als hohe Literatur bezeichnen; doch lohnt sich oft ein Blick darauf, was genau drinsteht – und was nicht.

Als neulich im Schweizerhalle-Tunnel zwei Personenwagen ineinander krachten, stand in der Zeitungsmeldung minutiös genau, dass der Unfallverursacher ein Polo-Fahrer war, der seitlich mit einem Golf zusammenstiess, bevor dieser in einen Skoda prallte. Die Markennamen sind eigentlich völlig unwichtig, aber ich konnte mir den Gedanken nicht verkneifen, dass es sich da offensichtlich um einen Familienkrach handelte, denn alle drei Typen gehören dem Volkswagen-Konzern an.

Interessanter wird es, wenn von einem den Unfall verursachenden Fahrer hervorgehoben wird, dass er einen Porsche oder einen Maserati fuhr. Dann kann man sich die bittere Genugtuung der Leserin oder des Lesers vorstellen, sind doch Fahrerinnen und Fahrer solcher Sportwagen in der Regel eher wohlhabend. Das Reizwort «reicher Raser» liegt nicht fern, und Schadenfreude ist mit dem Neid verwandt und bekanntlich die schönste Freude.

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