Schiblis Kopfsalat

Die AHV und die Gerechtigkeit

Die Einführung der AHV wurde auch mit dem Argument bekämpft, die Reichen bräuchten sie ja gar nicht. Einer der reichsten Schweizer ging mit diesem Problem kreativ um, wie unser Kolumnist vor Jahren in Erfahrung bringen konnte.

Sigfried Schibli Jetzt kommentieren 05.03.2024, 05.00 Uhr

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Abstimmungskampf um die Einführung der AHV 1947. Auf dem mittleren, von Hans Erni gestalteten Plakat lehnt sich ein Rentner an einen Arbeiter an.

Bild: Keystone/Photopress

Als ich kürzlich wegen eines Buchprojekts nach alten Fotografien aus dem Musikleben von anno dazumal fahndete, stiess ich im hervorragenden Kulturgüterportal des Kantons Basel-Landschaft auf ein paar Bilder aus Muttenz, aufgenommen an der Fasnacht im Jahr 1930. Das Sujet der Fasnächtler vom Musikverein Muttenz drehte sich um die später so genannte AHV. Diese wurde zwar erst 1948 eingeführt, aber das Thema brodelte schon lange in der Schweizer Politik, wie es auch jüngst wieder hohe Wellen schlug im Rahmen der Abstimmung um die am Sonntag angenommene Initiative für eine 13. AHV-Rente.

1931 fand eine eidgenössische Volksabstimmung zur «sozialistischen» Idee einer allgemeinen Altersrente statt. Und schon ein Jahr vor der Abstimmung warben eher bürgerlich orientierte Kreise, die offenbar in Muttenz stark vertreten waren, erfolgreich für eine Ablehnung.

Die Bilder zeigen eine Gruppe von Fasnächtlern, einige von ihnen als überdimensionierte Flaschen maskiert. Die Botschaft könnte man so umschreiben: besser Schnaps trinken als sich vom Staat alimentieren lassen! Auf einem von zwei Pferden gezogenen Wagen stehen die auf seltsame Weise Dialekt und Hochsprache mischenden Verse:

Sauft Wasser wie das liebe Vieh
Und stimmet Ja und haltet's nie
D Abstin und no anderi Änte
Gaxe, s gäb en Altersränte
Senkrechte lieben noch den Geist
Der Seelentrost und anders heisst.

Ob solche offen politischen Fasnachtssujets im heutigen Baselbiet noch durchgingen, steht zu bezweifeln. Auf jeden Fall fiel die Volksabstimmung im Verhältnis von 60 zu 40 Prozent der Stimmenden zuungunsten der später AHV genannten Altersrente aus, und die Befürworter mussten sich noch 18 Jahre lang gedulden. Als sie endlich eingeführt war, konnten alle, Arme und Reiche, von der flächendeckenden Altersrente profitieren. Was zwangsläufig die Frage nach der Gerechtigkeit aufwarf und bis heute aufwirft.

Zu den Begünstigten gehörte auch der Milliardär und Roche-Grossaktionär Paul Sacher. Ich kam auf dieses Thema, als ich 2006 anlässlich des 100. Geburtstags des 1999 verstorbenen Dirigenten und Mäzens eine Würdigung schreiben wollte. Nochmals und zum x-ten Mal seine Verdienste um die moderne Musik aufzuzählen, fand ich allerdings uninteressant. Daher verfiel ich in die Idee, seinen langjährigen Chauffeur Ernst Würmli zu interviewen. Und dieser erzählte mir eine Geschichte, die uns wieder auf das Thema AHV zurückführt.

Früher wurde die AHV noch vom Postboten in bar ausgehändigt. Auch einem Paul Sacher. Dieser hatte den finanziellen Zustupf nun wirklich nicht nötig, und er hatte sich angewöhnt, das Couvert mit der AHV abzulehnen und es dem Pöstler als Trinkgeld in die Hand zu drücken. Das hatte sich auf dem Prattler Postamt herumgesprochen, und der monatliche Gang auf den Schönenberg zu Paul Sacher war dementsprechend begehrt. Um Gerechtigkeit walten zu lassen und niemanden zu benachteiligen, legten die Pöstler einen Turnus fest, wer in welchem Monat diesen lukrativen Dienst verrichten durfte.

Irgendwie hat die AHV also doch mit Gerechtigkeit zu tun.

Zur Person

Sigfried Schibli ist Musikkritiker und Publizist, Hobbymusiker, Grossvater und Querbeet-Leser. Er nutzt seine Zeit für die Erholung vom Nachdenken.

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Als ich kürzlich wegen eines Buchprojekts nach alten Fotografien aus dem Musikleben von anno dazumal fahndete, stiess ich im hervorragenden Kulturgüterportal des Kantons Basel-Landschaft auf ein paar Bilder aus Muttenz, aufgenommen an der Fasnacht im Jahr 1930. Das Sujet der Fasnächtler vom Musikverein Muttenz drehte sich um die später so genannte AHV. Diese wurde zwar erst 1948 eingeführt, aber das Thema brodelte schon lange in der Schweizer Politik, wie es auch jüngst wieder hohe Wellen schlug im Rahmen der Abstimmung um die am Sonntag angenommene Initiative für eine 13. AHV-Rente.

1931 fand eine eidgenössische Volksabstimmung zur «sozialistischen» Idee einer allgemeinen Altersrente statt. Und schon ein Jahr vor der Abstimmung warben eher bürgerlich orientierte Kreise, die offenbar in Muttenz stark vertreten waren, erfolgreich für eine Ablehnung.

Die Bilder zeigen eine Gruppe von Fasnächtlern, einige von ihnen als überdimensionierte Flaschen maskiert. Die Botschaft könnte man so umschreiben: besser Schnaps trinken als sich vom Staat alimentieren lassen! Auf einem von zwei Pferden gezogenen Wagen stehen die auf seltsame Weise Dialekt und Hochsprache mischenden Verse:

Sauft Wasser wie das liebe Vieh
Und stimmet Ja und haltet's nie
D Abstin und no anderi Änte
Gaxe, s gäb en Altersränte
Senkrechte lieben noch den Geist
Der Seelentrost und anders heisst.

Ob solche offen politischen Fasnachtssujets im heutigen Baselbiet noch durchgingen, steht zu bezweifeln. Auf jeden Fall fiel die Volksabstimmung im Verhältnis von 60 zu 40 Prozent der Stimmenden zuungunsten der später AHV genannten Altersrente aus, und die Befürworter mussten sich noch 18 Jahre lang gedulden. Als sie endlich eingeführt war, konnten alle, Arme und Reiche, von der flächendeckenden Altersrente profitieren. Was zwangsläufig die Frage nach der Gerechtigkeit aufwarf und bis heute aufwirft.

Zu den Begünstigten gehörte auch der Milliardär und Roche-Grossaktionär Paul Sacher. Ich kam auf dieses Thema, als ich 2006 anlässlich des 100. Geburtstags des 1999 verstorbenen Dirigenten und Mäzens eine Würdigung schreiben wollte. Nochmals und zum x-ten Mal seine Verdienste um die moderne Musik aufzuzählen, fand ich allerdings uninteressant. Daher verfiel ich in die Idee, seinen langjährigen Chauffeur Ernst Würmli zu interviewen. Und dieser erzählte mir eine Geschichte, die uns wieder auf das Thema AHV zurückführt.

Früher wurde die AHV noch vom Postboten in bar ausgehändigt. Auch einem Paul Sacher. Dieser hatte den finanziellen Zustupf nun wirklich nicht nötig, und er hatte sich angewöhnt, das Couvert mit der AHV abzulehnen und es dem Pöstler als Trinkgeld in die Hand zu drücken. Das hatte sich auf dem Prattler Postamt herumgesprochen, und der monatliche Gang auf den Schönenberg zu Paul Sacher war dementsprechend begehrt. Um Gerechtigkeit walten zu lassen und niemanden zu benachteiligen, legten die Pöstler einen Turnus fest, wer in welchem Monat diesen lukrativen Dienst verrichten durfte.

Irgendwie hat die AHV also doch mit Gerechtigkeit zu tun.

Sigfried Schibli ist Musikkritiker und Publizist, Hobbymusiker, Grossvater und Querbeet-Leser. Er nutzt seine Zeit für die Erholung vom Nachdenken.

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Die Einführung der AHV wurde auch mit dem Argument bekämpft, die Reichen bräuchten sie ja gar nicht. Einer der reichsten Schweizer ging mit diesem Problem kreativ um, wie unser Kolumnist vor Jahren in Erfahrung bringen konnte.

Sigfried Schibli Jetzt kommentieren 05.03.2024, 05.00 Uhr

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Abstimmungskampf um die Einführung der AHV 1947. Auf dem mittleren, von Hans Erni gestalteten Plakat lehnt sich ein Rentner an einen Arbeiter an.

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Als ich kürzlich wegen eines Buchprojekts nach alten Fotografien aus dem Musikleben von anno dazumal fahndete, stiess ich im hervorragenden Kulturgüterportal des Kantons Basel-Landschaft auf ein paar Bilder aus Muttenz, aufgenommen an der Fasnacht im Jahr 1930. Das Sujet der Fasnächtler vom Musikverein Muttenz drehte sich um die später so genannte AHV. Diese wurde zwar erst 1948 eingeführt, aber das Thema brodelte schon lange in der Schweizer Politik, wie es auch jüngst wieder hohe Wellen schlug im Rahmen der Abstimmung um die am Sonntag angenommene Initiative für eine 13. AHV-Rente.

1931 fand eine eidgenössische Volksabstimmung zur «sozialistischen» Idee einer allgemeinen Altersrente statt. Und schon ein Jahr vor der Abstimmung warben eher bürgerlich orientierte Kreise, die offenbar in Muttenz stark vertreten waren, erfolgreich für eine Ablehnung.

Die Bilder zeigen eine Gruppe von Fasnächtlern, einige von ihnen als überdimensionierte Flaschen maskiert. Die Botschaft könnte man so umschreiben: besser Schnaps trinken als sich vom Staat alimentieren lassen! Auf einem von zwei Pferden gezogenen Wagen stehen die auf seltsame Weise Dialekt und Hochsprache mischenden Verse:

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