Rutschmadame

Die Seele im Wind

Woche für Woche nimmt die Rutschmadame das regionale Geschehen aus dem Blickwinkel des nahen Elsass aufs Korn. Nur nicht heute. Heute lässt unsere Kolumnistin am Mittelmeer die Seele baumeln.

Martina Rutschmann Jetzt kommentieren 11.04.2024, 09.28 Uhr

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Wenn es am Horizont weder wellt noch grollt, hat die Rutschmadame ihre Seele zum Baumeln aufgehängt – wenigstens, bis die Bestellung kommt.

Bild: Pixabay

Oft habe ich davon gehört, bewusst getan habe ich es noch nie. Und man soll ja bewusst leben, heisst es. Das Mittelmeer vor mir wellt vor sich hin und grollt seinen charakteristischen Ton. Monotoner Job. Wenigstens wird er wertgeschätzt. Fürs Meer hält am 1. Mai niemand Transparente hoch. Ein gutes Zeichen. Auch ich würdige das Meer. Warum sonst wäre ich zu ihm gereist, um es endlich zu tun? Einen Rosé, bitte, sage ich auf Fremdsprachig. Als der nette Herr mir das Getränk bringt, verabschiede ich mich von mir und lasse sie baumeln, die Seele. Um sie nicht zu verlieren, habe ich sie zuvor an ein Schwemmholzschild gehängt, das den Weg zu den Duschen weist. Ein geschütztes Eckchen, damit sie nicht davon weht. Und doch windig genug, um sie durchzulüften.

Die Gefahr besteht dort nicht, dass ein Grobian meine Seele auf dem Weg zur Dusche anrempelt und sie zertrampelt. Höchstens hartgesottene Nordländer würden im April-Mittelmeer baden gehen. Wären sie schon hier, hinge meine Seele anderswo. Diese Gedanken hege ich jetzt nicht, zumal ich meine Seele in Sicherheit wiege. Die Gedanken hatte ich, bevor ich sie mir entnahm und ans Holz hängte. Um genau zu sein habe ich sie angeklebt. Mit Kaugummi. Ich hatte nichts anderes zur Hand. Kaugummis sind eine gute Sache. Manche Menschen tragen Kabelbinder auf sich, aber keine befreiende Schere. Die denken Eventualitäten nicht zu Ende.

Ich warte auf das ersehnte Gefühl. Dieses Nichts. Darum geht es ja. Nichts zu fühlen. Nichts, das bedrückt. Ich schaue zum Horizont, wo es weder wellt noch grollt, sondern still vor sich hin meert. Und stelle mir vor, wie der Fisch, den ich bestellt habe, eben noch herum wedelte. An die Menschen, die in der Wassermasse ertrinken, denke ich nicht. An so was darf man nicht denken, wenn die Seele baumelt. Ich atme durch. Tiefer als sonst. Als wäre es eine Übung. Ich atme Meeresluft ein. Und aus. Und werfe einen Blick zu meiner Seele. Sie baumelt, wie nur Seelen baumeln können. Und ich frage mich, ob sie zu mir zurück will. Und was sie dann tut, wenn sie nicht mehr baumelt. Und was ich tue. Der Fisch stamme aus Asien, sagt der nette Herr. Hier lebten zu wenige Fische, um den Bedarf zu decken. Ich hole meine Seele zurück. Schaue zum Horizont. Und frage mich, ob ich alles zu wörtlich nehme. Und die Seele gar nicht baumeln kann.

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Oft habe ich davon gehört, bewusst getan habe ich es noch nie. Und man soll ja bewusst leben, heisst es. Das Mittelmeer vor mir wellt vor sich hin und grollt seinen charakteristischen Ton. Monotoner Job. Wenigstens wird er wertgeschätzt. Fürs Meer hält am 1. Mai niemand Transparente hoch. Ein gutes Zeichen. Auch ich würdige das Meer. Warum sonst wäre ich zu ihm gereist, um es endlich zu tun? Einen Rosé, bitte, sage ich auf Fremdsprachig. Als der nette Herr mir das Getränk bringt, verabschiede ich mich von mir und lasse sie baumeln, die Seele. Um sie nicht zu verlieren, habe ich sie zuvor an ein Schwemmholzschild gehängt, das den Weg zu den Duschen weist. Ein geschütztes Eckchen, damit sie nicht davon weht. Und doch windig genug, um sie durchzulüften.

Die Gefahr besteht dort nicht, dass ein Grobian meine Seele auf dem Weg zur Dusche anrempelt und sie zertrampelt. Höchstens hartgesottene Nordländer würden im April-Mittelmeer baden gehen. Wären sie schon hier, hinge meine Seele anderswo. Diese Gedanken hege ich jetzt nicht, zumal ich meine Seele in Sicherheit wiege. Die Gedanken hatte ich, bevor ich sie mir entnahm und ans Holz hängte. Um genau zu sein habe ich sie angeklebt. Mit Kaugummi. Ich hatte nichts anderes zur Hand. Kaugummis sind eine gute Sache. Manche Menschen tragen Kabelbinder auf sich, aber keine befreiende Schere. Die denken Eventualitäten nicht zu Ende.

Ich warte auf das ersehnte Gefühl. Dieses Nichts. Darum geht es ja. Nichts zu fühlen. Nichts, das bedrückt. Ich schaue zum Horizont, wo es weder wellt noch grollt, sondern still vor sich hin meert. Und stelle mir vor, wie der Fisch, den ich bestellt habe, eben noch herum wedelte. An die Menschen, die in der Wassermasse ertrinken, denke ich nicht. An so was darf man nicht denken, wenn die Seele baumelt. Ich atme durch. Tiefer als sonst. Als wäre es eine Übung. Ich atme Meeresluft ein. Und aus. Und werfe einen Blick zu meiner Seele. Sie baumelt, wie nur Seelen baumeln können. Und ich frage mich, ob sie zu mir zurück will. Und was sie dann tut, wenn sie nicht mehr baumelt. Und was ich tue. Der Fisch stamme aus Asien, sagt der nette Herr. Hier lebten zu wenige Fische, um den Bedarf zu decken. Ich hole meine Seele zurück. Schaue zum Horizont. Und frage mich, ob ich alles zu wörtlich nehme. Und die Seele gar nicht baumeln kann.

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13.04.2024

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Bild: Pixabay

Oft habe ich davon gehört, bewusst getan habe ich es noch nie. Und man soll ja bewusst leben, heisst es. Das Mittelmeer vor mir wellt vor sich hin und grollt seinen charakteristischen Ton. Monotoner Job. Wenigstens wird er wertgeschätzt. Fürs Meer hält am 1. Mai niemand Transparente hoch. Ein gutes Zeichen. Auch ich würdige das Meer. Warum sonst wäre ich zu ihm gereist, um es endlich zu tun? Einen Rosé, bitte, sage ich auf Fremdsprachig. Als der nette Herr mir das Getränk bringt, verabschiede ich mich von mir und lasse sie baumeln, die Seele. Um sie nicht zu verlieren, habe ich sie zuvor an ein Schwemmholzschild gehängt, das den Weg zu den Duschen weist. Ein geschütztes Eckchen, damit sie nicht davon weht. Und doch windig genug, um sie durchzulüften.

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