Seit dem Überfall auf die Ukraine und den Sanktionen des Westens setzt Präsident Putin auf Peking als Rettungsanker. Eine Studie zeigt die Folgen dieser Strategie auf.

Der Zusammenbruch des Warschauer Pakts und der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre gehören zu den politisch größten Umwälzungen der Neuzeit. Doch auch wirtschaftlich waren die Folgen der Ereignisse vor nunmehr fast 35 Jahren gewaltig. Der Handel der Staaten des früheren Ostblocks mit der EU entwickelte sich rasant – das galt auch für das technologisch rückständige Russland, dessen gewaltige Rohstoffvorkommen westliche Begehrlichkeiten weckten.

Doch das nicht zuletzt aus westlicher Sicht attraktive Handelsmodell geriet durch eine zunehmende politische Entfremdung infolge einer in den 2000er Jahren zunehmend aggressiver werdenden russischen Außenpolitik an seine Grenzen. Zum offenen Handelskonflikt kam es, als Moskau im Februar 2021 seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine startete.

Parallel zu dieser Entwicklung nahm der Handel zwischen Russland und China schrittweise an Volumen zu – auch wenn eine gewisse kulturelle Distanz, ja auch politisches Misstrauen auf beiden Seiten stets spürbar blieben. Der Russland-Experte bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP), Janis Kluge, legte jetzt unter dem Titel „Russisch-chinesische Wirtschaftsbeziehungen“ eine Studie mit dem bezeichnenden Untertitel „Moskaus Weg in die Abhängigkeit“ vor.

Die Zahlen, die Kluge zusammengetragen hat, sind bemerkenswert: Während die Exporte aus China 1996 einen Wert von 1,7 Milliarden Euro erreichten, waren es 2022 bereits 76,3 Milliarden. In umgekehrter Richtung stieg das Volumen im gleichen Zeitraum von 5,2 auf sogar 112,2 Milliarden Euro. Einen beispiellosen Sprung gab es in beiden Kategorien mit Beginn des Ukraine-Krieges im Februar 2021.

Im ersten Halbjahr 2023 beschleunigte sich dieser Trend: 35 Prozent der russischen Importe kamen aus China. Als Wladimir Putin 2000 als Präsident die Macht im Kreml übernahm, lag der Anteil noch bei drei Prozent. Die russischen Exporte nach China stiegen parallel auf mehr als 30 Prozent vom gesamten Exportvolumen des Landes. Doch zwei weitere Daten verdeutlichen die wachsende Asymmetrie in den Handelsbeziehungen der beiden Atommächte: Der Anteil Russlands an der chinesischen Handelsbilanz stieg seit Kriegsbeginn von 2,5 auf lediglich vier Prozent – Russland ist für Peking global gesehen also handelspolitisch von überschaubarem Gewicht.

Erhellend ist auch Kluges Blick auf die Folgen der westlichen Sanktionen für die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen. Der chinesische Handel – mit den Schwerpunkten Fahrzeuge, Elektronik und Maschinen – ließ sich nach anfänglichem Zögern nicht davon abhalten, in wachsendem Umfang Waren nach Russland zu liefern. Unternehmen im digitalen Kommunikationsbereich allerdings fürchten US-Gegenmaßnahmen, wenn sie Hightech nach Russland liefern. Auch chinesische Banken gingen auf Distanz, wie Kluge erläutert. Gleiches gilt für die Rüstungsindustrie. Geliefert werden jedoch immer mehr sogenannte „Dual-Use-Güter“, die nicht explizit für militärische Zwecke produziert werden, sehr wohl aber militärisch genutzt werden können.

Von Wirtschaftsbeziehungen auf Augenhöhe kann also kaum die Rede sein, wie Janis Klage herausarbeitet. Denn chinesische Investitionen in Russland, die ohnehin schon gering waren, sind weiter geschrumpft. Für Peking ist Russland ein interessanter Absatzmarkt und ein Lieferant für Energieträger. Russland hingegen droht „zum Rohstofflieferanten und Käufer chinesischer Fertigwaren degradiert“ zu werden.

„Für Russland ist die Entkoppelung vom Westen und die Umstellung der Handelswege teuer und – insbesondere was die Rohstofflieferungen betrifft – technisch aufwendig. Die engen Beziehungen zum Westen hatten demgegenüber große Vorteile“, erklärt Kluge im Gespräch mit unserer Redaktion.

Doch der Kremlchef hatte nach der Kappung vieler Lieferketten zu westlichen Staaten kaum eine andere Wahl, als auf Peking als „Rettungsanker“ zu setzen – eine Konstellation, die für Russland hohes Abhängigkeitspotenzial hat. „Allerdings gibt es bisher keine Anzeichen dafür, dass China seine Dominanz gegenüber Russland nutzt, um politischen Druck auf Moskau auszuüben“, sagt Kluge. Hoffnungen des Westens, dass Peking Moskau zu ernsten Friedensverhandlungen mit Kiew drängt, hält der Wirtschaftswissenschaftler derzeit für nicht realistisch.

Während Russland mit großer Hoffnung auf den Ausgang der US-Wahlen im Jahr 2024 blickt, den viele europäische Staaten fürchten, dürfte der chinesische Präsident Xi Jinping relativ gelassen auf eine mögliche zweite Amtszeit von Donald Trump schauen. „Falls sich die USA unter Trump tatsächlich von seinen europäischen Partnern abwenden würden, Europa also mit Putin allein klarkommen müsste, könnte sich Chinas Einfluss auf den Kontinent indirekt vergrößern – allein durch den Umstand, dass Russland von Peking abhängig ist“, sagt Janis Kluge. Das sei zwar aktuell sehr spekulativ, aber wenn es so komme, könnten die EU-Staaten gezwungen sein, China zu bitten, ihren Einfluss auf Moskau im europäischen Interesse geltend zu machen.

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Wie Russlands Abhängigkeit von China rasant wächst

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20.12.2023

Seit dem Überfall auf die Ukraine und den Sanktionen des Westens setzt Präsident Putin auf Peking als Rettungsanker. Eine Studie zeigt die Folgen dieser Strategie auf.

Der Zusammenbruch des Warschauer Pakts und der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre gehören zu den politisch größten Umwälzungen der Neuzeit. Doch auch wirtschaftlich waren die Folgen der Ereignisse vor nunmehr fast 35 Jahren gewaltig. Der Handel der Staaten des früheren Ostblocks mit der EU entwickelte sich rasant – das galt auch für das technologisch rückständige Russland, dessen gewaltige Rohstoffvorkommen westliche Begehrlichkeiten weckten.

Doch das nicht zuletzt aus westlicher Sicht attraktive Handelsmodell geriet durch eine zunehmende politische Entfremdung infolge einer in den 2000er Jahren zunehmend aggressiver werdenden russischen Außenpolitik an seine Grenzen. Zum offenen Handelskonflikt kam es, als Moskau im Februar 2021 seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine startete.

Parallel zu dieser Entwicklung nahm der Handel zwischen Russland und China schrittweise an Volumen zu – auch wenn eine gewisse kulturelle Distanz, ja auch politisches Misstrauen auf beiden Seiten stets spürbar blieben. Der Russland-Experte bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP), Janis Kluge, legte jetzt unter dem Titel „Russisch-chinesische Wirtschaftsbeziehungen“ eine Studie mit dem........

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