Die israelische Militäroperation ist kein Genozid an den Palästinensern. Pretoria setzt darauf, dass das Gericht einen Stopp der Angriffe im Eilverfahren anordnet. Die Klage könnte die Fronten verhärten.

Die Videos vom 7. Oktober sind verwackelt, doch die überschaubare Bildqualität dämpft die Grausamkeit der Sequenzen nicht: Vergewaltigungen, abgetrennte Köpfe, geschändete Leichen. Entsetzlich sind auch die Bilder toter Kinder in Gaza, das einer Schuttwüste gleicht. Das Klima, in dem global über das Sterben in Nahost gestritten wird, ist vergiftet. Auch in Deutschland. Da wird mehr geschrien und weniger zugehört. Auf wütende offene Briefe folgen umgehend noch wütendere offene Briefe der Gegenseite.

Angesichts der Abgründe in Nahost fällt es schwer, sachlich über den Nahost-Konflikt zu sprechen, Argumente gelten zu lassen. Doch genau das ist jetzt nötig.

Fest steht, dass Israel diesen Krieg weder begonnen hat, noch beginnen wollte. Vielmehr waren es die Hamas und weitere, kleinere palästinensische Terror-Milizen, die bei den grauenhaften Massakern vom 7. Oktober erneut signalisiert haben, dass sie es mit ihrem immer wieder postulierten Hauptziel bitterernst meinen: die Vernichtung des Staates Israels. Es folgte, was folgen musste. Hart und kompromisslos führen die israelischen Streitkräfte des Landes nun seit mehr als 100 Tagen Krieg in Gaza. Eine traumatisierte Nation war sich einig, dass die Bedrohung durch die Hamas ein für alle Mal beendet werden muss. Ein legitimes Ziel. Problematisch sind hingegen Forderungen, nicht nur die militärische Macht der Hamas, sondern auch ihre weitverzweigte über Gaza hinausgehenden Organisation auszulöschen. Das ist nicht realistisch.

Seit gut einer Woche hat der Konflikt eine juristische Dimension. Israel muss sich wegen des Vorwurfs des Völkermords vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag verantworten. Geklagt hat Südafrika, das Israel vorwirft, durch militärische Gewalt gegen die Zivilbevölkerung im Gazastreifen gegen die UN-Völkermordkonvention zu verstoßen. Israel müsste nachgewiesen werden, dass es diesen Krieg in der Absicht führt, die Palästinenser als Volksgruppe ganz oder zum Teil zu vernichten. Dieser Nachweis kann nicht gelingen. Israel führt nicht Krieg, um einen Genozid an den Palästinensern in Gaza zu begehen, das Land verteidigt sich gegen die Terrororganisation Hamas, der mit einigem Recht genozidale Absichten unterstellt werden.

Dass Israel in Gaza Grenzen des internationalen Rechts überschritten hat, ist kaum zu bestreiten. Die Blockade von Hilfslieferungen, darunter Medikamente, widerspricht dem humanitären Völkerrecht. Zudem werfen Ausmaß und Zielauswahl der Bombardements die Frage nach der Verhältnismäßigkeit auf. Auch wenn die Hamas – ebenfalls völkerrechtswidrig - die Zivilbevölkerung als Schutzschild missbraucht.

Warum klagt ausgerechnet Südafrika? In dem Land ist die Erinnerung daran wach, dass Israel in den 70er- und 80er-Jahren sehr enge Beziehungen zu dem früheren Apartheid-Staat unterhalten hat. Zudem steht der Verdacht im Raum, dass die südafrikanische Regierung von der Wirtschaftskrise und Korruptionsvorwürfen ablenken will. Pretoria weiß, dass eine Entscheidung des Gerichtshofes über die Klage Jahre dauern dürfte. Die Regierung will jedoch den Druck jetzt sofort erhöhen und setzt darauf, dass die Richter Ende des Monats als Konsequenz aus den laufenden Anhörungen Israel per „einstweiliger Schutzmaßnahme“, sprich per Eilverfahren, verpflichten, die Militäroperation zu stoppen. Das Kalkül der Kläger ist, dass Israels internationaler Ansehensverlust dann noch größer wird. Insbesondere, wenn sich Israel – wie zu erwarten wäre – nicht an die Anordnung des Gerichtshofes halten würde und den Krieg weiterführt.

Diese Rechnung könnte aufgehen, denn das Verfahren hat große symbolische Wucht, gerade für Israel: Der polnisch-jüdische Jurist Raphael Lemkin initiierte die Völkermordkonvention 1948 als Reaktion auf den Holocaust. So ist die Gefahr groß, dass die Klage Südafrikas die Fronten weiter verhärtet, statt Frieden zu bringen.

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QOSHE - Warum die Völkermord-Klage gegen Israel in die Irre führt - Simon Kaminski
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Warum die Völkermord-Klage gegen Israel in die Irre führt

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18.01.2024

Die israelische Militäroperation ist kein Genozid an den Palästinensern. Pretoria setzt darauf, dass das Gericht einen Stopp der Angriffe im Eilverfahren anordnet. Die Klage könnte die Fronten verhärten.

Die Videos vom 7. Oktober sind verwackelt, doch die überschaubare Bildqualität dämpft die Grausamkeit der Sequenzen nicht: Vergewaltigungen, abgetrennte Köpfe, geschändete Leichen. Entsetzlich sind auch die Bilder toter Kinder in Gaza, das einer Schuttwüste gleicht. Das Klima, in dem global über das Sterben in Nahost gestritten wird, ist vergiftet. Auch in Deutschland. Da wird mehr geschrien und weniger zugehört. Auf wütende offene Briefe folgen umgehend noch wütendere offene Briefe der Gegenseite.

Angesichts der Abgründe in Nahost fällt es schwer, sachlich über den Nahost-Konflikt zu sprechen, Argumente gelten zu lassen. Doch genau das ist jetzt nötig.

Fest steht, dass Israel diesen Krieg weder begonnen hat, noch beginnen wollte. Vielmehr waren es die Hamas und weitere, kleinere palästinensische Terror-Milizen, die bei den grauenhaften Massakern vom 7. Oktober erneut........

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