Kriege, Konflikte, neu entstehende Machtzentren, ein selbstbewusster "globaler Süden". Dem Westen bläst der Wind entgegen, er muss flexibler werden.

Bis an die Zähne bewaffnet, getrennt durch Ideologien und Machtansprüche: Die US-geführte Nato und der durch die Sowjetunion kontrollierte Warschauer Pakt lieferten sich über Jahrzehnte ein atomares Armdrücken. Die Blöcke versuchten, schwankende Nationen in aller Welt auf ihre Seite zu ziehen – politisch, mitunter aber auch mit Gewalt. Nur wenige neutrale Staaten, wie die Schweiz, konnten sich in dieser erstarrten Welt sichere Nischen schaffen. In diesem – grob skizzierten – Schema verliefen die globalen Bedingungen für Außenpolitik bis zum Ende der 1980er Jahre.

Von den bipolaren Gewissheiten ist längst keine Rede mehr. Galten nach dem Ende des Ostblocks zunächst die USA als ungefährdeter Hegemon, erfasste die Welt eine zunächst fast unbemerkt einsetzende, dann sich beschleunigende Zersplitterung der Machtverhältnisse. Das aggressive China, das aufstrebende Indien, die Golfstaaten, immer selbstbewusster agierende Nationen des sogenannten „globalen Südens“, brutale Regionalkonflikte, wechselnde Bündnisse, die sich verschärfende Klimakrise – all dies ist schon seit Jahren nur schwer berechenbare Realität. Hinzu kommen könnte 2024 ein Wahlsieg des Antidemokraten Donald Trump in den USA.

Wie zerschossen frühere außenpolitische Strukturen tatsächlich sind, zeigen der russische Überfall auf die Ukraine und noch exemplarischer der Gaza-Krieg. Wichtige Staaten wie Brasilien, Südafrika oder eben Indien weigern sich, Moskau wegen des offenkundig völkerrechtswidrigen Kriegs gegen die Ukraine klar zu verurteilen. Im Falle des Nahost-Konflikts versagte das Gros der Staaten des globalen Südens dem Westen die Gefolgschaft, verurteilte nicht die Terrororganisation Gaza, sondern Israel und seine Unterstützer. Moralische Vorhaltungen verbitten sich viele Entwicklungs- und Schwellenländer – Autokratien, aber auch Demokratien – als moderne Form des Kolonialismus.

Das neue Motto vieler Staaten ist, sich alle Optionen offenzuhalten. Beispiel Indien: Innerhalb weniger Tage feierte die Regierung in Neu-Delhi die Beziehungen zum Westen, um dann stolz Pläne für eine engere rüstungstechnische Kooperation mit Russland zu präsentieren.

Wie kann die deutsche Außenpolitik in diesem Wirbel aus Interessen und Abhängigkeiten bestehen? Auffällig ist, dass die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock zuletzt eher selten moralische Kategorien als Grundlage ihres Agierens voranstellte. Das Prinzip einer Außenpolitik, die auf Werten basiert – ein Anspruch, den übrigens auch Vorgänger von Baerbock formulierten – geriet schon oft an Grenzen. Aktuell erst recht.

Heißt das, es ist schlicht egal, mit wem Deutschland international kooperiert? Natürlich nicht. Doch es ist scheinheilig zu leugnen, was gängige Praxis ist: Die Zusammenarbeit mit autokratisch regierten Staaten ist unumgänglich, ja sinnvoll – wenn deren Regierungen weltpolitisch stabilisierend wirken. Russland gehört erkennbar nicht in diese Kategorie – gegen die Bedrohung der Sicherheit durch Moskau hilft nur Härte.

Was fürchten Regime, die die Rechte ihrer Bürger systematisch verletzen, am meisten? Belehrungen prallen oft an ihnen ab. Sie fürchten es, wenn Demokratien zeigen, dass ihr System funktioniert, dass die Menschen darin besser und selbstbestimmt leben können. Das allerdings bedeutet harte Arbeit, die nicht zuletzt in Deutschland 2024 deutlich besser erledigt werden muss.

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In einer zersplitterten Welt wird Außenpolitik zunehmend schwieriger

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02.01.2024

Kriege, Konflikte, neu entstehende Machtzentren, ein selbstbewusster "globaler Süden". Dem Westen bläst der Wind entgegen, er muss flexibler werden.

Bis an die Zähne bewaffnet, getrennt durch Ideologien und Machtansprüche: Die US-geführte Nato und der durch die Sowjetunion kontrollierte Warschauer Pakt lieferten sich über Jahrzehnte ein atomares Armdrücken. Die Blöcke versuchten, schwankende Nationen in aller Welt auf ihre Seite zu ziehen – politisch, mitunter aber auch mit Gewalt. Nur wenige neutrale Staaten, wie die Schweiz, konnten sich in dieser erstarrten Welt sichere Nischen schaffen. In diesem – grob skizzierten – Schema verliefen die globalen Bedingungen für Außenpolitik bis zum Ende der 1980er Jahre.

Von den bipolaren Gewissheiten ist längst keine Rede mehr. Galten nach dem Ende des Ostblocks zunächst die USA als ungefährdeter Hegemon, erfasste die Welt eine zunächst fast unbemerkt einsetzende, dann sich beschleunigende Zersplitterung der Machtverhältnisse. Das aggressive China, das aufstrebende Indien, die Golfstaaten, immer selbstbewusster agierende Nationen des sogenannten „globalen Südens“, brutale........

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