Das 1,5-Grad-Ziel rückt immer mehr in die Ferne. Es ist Zeit, sich damit auseinanderzusetzen, wie man CO2 speichern, nutzen oder der Atmosphäre entziehen kann.

In Deutschland drehen sich immer mehr Windräder, Fotovoltaik ist auf Hausdächern und Feldern zum gewohnten Anblick geworden. Es ist in den vergangenen Jahren einiges erreicht worden für die Energiewende und den Klimaschutz. E-Autos sind als Angebot verfügbar, in der Industrie könnte klimaneutraler Wasserstoff fossiles Erdgas ersetzen. Die Technologien für eine klimaneutrale Wirtschaft sind vorhanden, es zeichnet sich ab, wie das Projekt umgesetzt werden könnte. Und doch steigt die Fieberkurve der Erde weiter, fast jedes Jahr werden neue Temperaturrekorde verzeichnet. Es stellt sich deshalb die Frage, ob nicht neue Ansätze in der Klimapolitik nötig sind.

Deutschland und einigen anderen westlichen Ländern mag es gelingen, ihre Treibhausgase zu senken. Indessen gingen in China zuletzt noch immer neue Kohlekraftwerke in Betrieb. Und in sich entwickelnden Ländern wie Indien oder Bangladesch, die dem Wohlstand der Industrieländer nacheifern, wird es noch lange dauern, bis die Emissionen auch dort rückläufig sind.

Forscher haben längst Zweifel, ob das Pariser Klimaziel, die Erderwärmung idealerweise auf 1,5 Grad zu begrenzen, noch erreichbar ist. "Es war damals schon nicht zu schaffen und jetzt erst recht nicht", sagte Klimaforscher Mojib Latif kürzlich. Bereits im Oktober 2023 sei die Erwärmung schon über den 1,5 Grad gelegen. Das Ziel wäre dann, die Klimaerwärmung auf alle Fälle unter 2 Grad zu halten. Aber selbst dies könnte ambitioniert sein.

In der Erde lagern noch große Mengen an Öl, Gas und Kohle. Die Versuchung ist groß, diese zu nutzen. Noch immer werden neue Öl- und Gasfelder erschlossen. Wollte man die Klimaziele einhalten, müssten ab dem Jahr 2050 die Emissionen weltweit unter dem Strich bei null liegen. Es dürfte nicht mehr CO2 in die Atmosphäre entweichen als an anderer Stelle wieder gebunden wird, beispielsweise in Mooren. Ob dieses Ziel der Netto-Nullemissionen bis 2050 erreicht wird, erscheint derzeit fraglich. Gelingt es nicht, muss sich die Menschheit darauf vorbereiten.

Eine Lösung könnte sein, ein kurzzeitiges Überschießen der Emissionen zu tolerieren, wenn später sichergestellt wird, dass das CO2 bald danach der Atmosphäre wieder entzogen wird, argumentiert zum Beispiel Ottmar Edenhofer, der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung.

Zwei Umweltverbände haben zusammen mit den Gewerkschaften und der deutschen Industrie kürzlich einen in dieser Hinsicht bemerkenswerten Vorschlag gebracht. Die Umweltorganisation WWF setzt sich zusammen mit dem Naturschutzbund Deutschland (NABU) für eine Technologie ein, mit der CO2-Emissionen aus der Industrie abgeschieden und unterirdisch gespeichert werden, statt in die Atmosphäre zu gelangen. Das Verfahren ist unter dem Kürzel CCS bekannt, englisch für Carbon Capture and Storage. Ein Zementwerk in Norwegen will CCS noch dieses Jahr in die Praxis umsetzen und pro Jahr 400.000 Tonnen des Klimagases abfangen und unterirdisch speichern. Die Technik ist energieintensiv, deshalb sollte sie nur in Bereichen eingesetzt werden, in denen sich CO2-Emissionen auf keinen Fall vermeiden lassen, betonen die Umweltverbände, beispielsweise in der Herstellung von Zement, Kalk und in der Müllverbrennung. Zudem muss sie strikt reguliert und überwacht werden. Das abgefangene Gas könnte auch in der Industrie eingesetzt werden, zum Beispiel für die Produktion synthetischer Kraftstoffe für den Flugverkehr.

Der absolute Fokus im Klimaschutz – auch in Deutschland – wird in den kommenden Jahren weiterhin darauf liegen müssen, aus Kohle, Gas und Öl auszusteigen. Dies ist die Priorität, keine Frage. Ohne den Ausstieg aus fossiler Energie ist das Klima kaum zu stabilisieren. Gleichzeitig wird aber immer deutlicher, dass es in Zukunft nicht nur um Emissionsvermeidung gehen wird, sondern auch darum, CO2 der Atmosphäre zu entziehen. Dies ist auf technischem Wege möglich. Die Verfahren sind aber noch teuer und stecken in den Kinderschuhen. Es kann aber auch über natürliche Prozesse geschehen. Ein Beispiel für solche Senken ist die Nutzung von Holz als Baustoff. Ein Gebäude steht für Jahrzehnte und bindet den im Holz gespeicherten Kohlenstoff. Diese neuen Wege zu Klimaschutz über negative Emissionen werden wichtiger.

Die Leistung, der Atmosphäre CO2 zu entziehen, muss sich für Betriebe lohnen. Es gibt Ideen von Fachleuten, wie dies sichergestellt werden kann, beispielsweise durch eine Klima-Zentralbank. Es ist Zeit, sich intensiver mit diesen Ideen auseinanderzusetzen, je stärker der Klimawandel voranschreitet.

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QOSHE - Brauchen wir einen neuen Weg im Klimaschutz? - Michael Kerler
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Brauchen wir einen neuen Weg im Klimaschutz?

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25.01.2024

Das 1,5-Grad-Ziel rückt immer mehr in die Ferne. Es ist Zeit, sich damit auseinanderzusetzen, wie man CO2 speichern, nutzen oder der Atmosphäre entziehen kann.

In Deutschland drehen sich immer mehr Windräder, Fotovoltaik ist auf Hausdächern und Feldern zum gewohnten Anblick geworden. Es ist in den vergangenen Jahren einiges erreicht worden für die Energiewende und den Klimaschutz. E-Autos sind als Angebot verfügbar, in der Industrie könnte klimaneutraler Wasserstoff fossiles Erdgas ersetzen. Die Technologien für eine klimaneutrale Wirtschaft sind vorhanden, es zeichnet sich ab, wie das Projekt umgesetzt werden könnte. Und doch steigt die Fieberkurve der Erde weiter, fast jedes Jahr werden neue Temperaturrekorde verzeichnet. Es stellt sich deshalb die Frage, ob nicht neue Ansätze in der Klimapolitik nötig sind.

Deutschland und einigen anderen westlichen Ländern mag es gelingen, ihre Treibhausgase zu senken. Indessen gingen in China zuletzt noch immer neue Kohlekraftwerke in Betrieb. Und in sich entwickelnden Ländern wie Indien oder Bangladesch, die dem Wohlstand der Industrieländer nacheifern, wird es noch lange dauern, bis die Emissionen auch dort rückläufig sind.

Forscher haben längst Zweifel, ob das Pariser Klimaziel, die Erderwärmung........

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