München - Man mag es sich jetzt noch nicht vorstellen, wenn die Sonne durch die bunten Blätter scheint. Aber einige Berge sind schon angezuckert - und auch in München wird der erste Schnee zwangsläufig kommen. Wenn dann zum ersten Mal dicke Flocken vom Himmel fallen, verliert nicht nur manch Autofahrer schlagartig seine Lenkerfähigkeiten, auch Radfahrer fangen das Schlingern an.

Letztere nicht zuletzt, weil gerne mal Schneematsch liegen bleibt, oder nach der ersten Tau- und Frostphase gefährliche Eis-Spurrillen auf den Radlwegen lauern. Doch das soll nun besser werden, verspricht die Stadt. Und bricht dabei sogar ein Tabu: Auf bestimmten Radlwegen soll testweise gesalzen werden.

Bislang war das undenkbar. Auch aus Umweltschutzgründen. Deswegen war in den vergangenen Wintern nicht für jeden Radfahrer ersichtlich, dass von den 1.000 Kilometern Radweg immerhin 155 Kilometer zum priorisierten Winterroutennetz gehören. Diese werden bislang ab einer Schneehöhe von drei Zentimetern geräumt – und zwar laut Baureferat innerhalb von zwei Stunden.

Alle weiteren Radwege und auch die Fahrradstraßen werden innerhalb von drei Stunden mit einem Winterdienstmobil geräumt. Das klingt erst mal gut, aber die Schlitterfallen entstehen meist danach. Denn die Stadt München bringt auf Neuschnee eben Splitt und kein Salz auf. Ein bisserl Schnee bleibt immer liegen, wenn der dann taut und wieder friert, hat man die Eisrillen, die so manchem Radfahrer schon zum Verhängnis geworden sind.

Das weiß man auch beim Baureferat. So schreibt die Baureferentin Jeanne-Marie Ehbauer (Grüne) in einer Stadtratsvorlage, die kommenden Dienstag im Bauausschuss behandelt wird und der AZ vorliegt: "So gibt es immer wieder Beschwerden über eine eingeschränkte Griffigkeit und den sogenannten Rollsplitt-Effekt." Letzteren kennt der Radler: Auf Rollsplitt rutscht man gerne mal weg.

Die Baureferentin will deshalb, dass die Stadt Alternativen zum Rollsplitt ausprobiert. Dazu soll es zwei Pilotversuche geben, einen auf Fahrradstraßen einen zweiten auf baulichen Radwegen. Und beide Male sollen sogenannte "auftauende Mittel", sprich Salz, zum Einsatz kommen.

Der erste Pilotversuch betrifft Fahrradstraßen und soll sogar schon in diesem Winter auf zehn davon starten. Hier ist das Problem, dass bislang Autos Restschnee auf der Fahrbahn zusammendrücken. Da bei einer Radlstraße ja die gesamte Straße der Radweg ist, entsteht hier oft eine Mischung aus Schneematsch und Eis.

Künftig soll das auf den Pilotstrecken vermieden werden, indem auch auftauende Mittel eingesetzt werden. In München kommen wegen der besseren Umweltverträglichkeit dabei nur Sole und Feuchtsalz in Frage, wobei das Baureferat Sole empfiehlt. Da dadurch Schnee und Eis schmelzen, können die Räumfahrzeuge tatsächlich den kompletten Schnee räumen und die Fahrbahn bleibt frei.

Auf diesen Fahrradstraßen soll der Pilotversuch stattfinden:

Zudem plant das Baureferat einen zweiten Pilotversuch auf baulichen Radwegen, also Radlwege, die vom Autoverkehr getrennt sind. Auf denen kommt bislang Splitt zum Einsatz. Getestet wird ein Verfahren, bei dem ein Räumfahrzeug den Schnee entfernt, bis nur in "den Poren" des Straßenbelags noch Restschnee verbleibt. Dieser wird dann ebenfalls mit Sole aufgetaut, damit die Straße frei bleibt.

Für diesen Pilotversuch muss die Stadt aber erst neue Räumfahrzeuge anschaffen. Das dauert – mindestens bis 2024/25. Es könnte sich sogar noch länger hinziehen, falls es bei den Herstellern Lieferengpässe gibt.

Sobald der Versuch startet, sollen diese baulich getrennten Radwege testweise geräumt werden:

Bei den organisierten Radfahrern in München kommt das Konzept gut an. Statt "Klein-Klein" sei das einmal eine "grundsätzlich andere Herangehensweise", sagt Andreas Schön, Sprecher des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs München (ADFC) zur AZ. "Uns ist klar, dass Salz umweltschädlich ist", sagt er. Man sei als ADFC in die Routenauswahl eingebunden gewesen und habe darauf geachtet, dass kein Salz in Baumgruben laufen kann.

Letzteres ist auch ein Aspekt, den Katharina Horn, Geschäftsführerin beim Bund Naturschutz München hervorhebt. "Es ist wichtig, dass die Radwege nicht über das Begleitgrün entwässert werden", sagt sie zur AZ. Das wäre fatal für die Pflanzen. "Wir beim Bund Naturschutz finden es aber gut, den Pilotversuch zu machen und es einfach auszuprobieren."

Wichtig sei, nach der Versuchsphase genau auszuwerten, ob es tatsächlich funktioniert und das Grün geschützt wird. Auf dieser Basis könne man eine grundsätzliche Entscheidung für den Radl-Winterdienst treffen.

In der Stadtratsopposition geht es einigen wiederum zu zaghaft voran. Kritik kommt zum Beispiel von der ÖDP. Deren Stadträtin Sonja Haider hätte sich "mutigere und tatkräftigere Lösungsansätze" gewünscht.

"Für den schlimmsten Unfallschwerpunkt, die Luitpoldbrücke und den im Winter schwer befahrbaren Arnulfsteg, legt uns die Referentin gar keine Verbesserungsvorschläge vor", sagt sie der AZ. Im vergangenen Jahr seien die Straßenverhältnisse für Radfahrer in den Wintermonaten katastrophal gewesen. Pilotprojekte seien gut, findet Sonja Haider, für die Zukunft müsse man bei der Stadt aber "noch ein paar Gänge hochschalten".

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München will für sichere Radwege im Winter Tabu brechen – schon gibt's ...

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03.11.2023

München - Man mag es sich jetzt noch nicht vorstellen, wenn die Sonne durch die bunten Blätter scheint. Aber einige Berge sind schon angezuckert - und auch in München wird der erste Schnee zwangsläufig kommen. Wenn dann zum ersten Mal dicke Flocken vom Himmel fallen, verliert nicht nur manch Autofahrer schlagartig seine Lenkerfähigkeiten, auch Radfahrer fangen das Schlingern an.

Letztere nicht zuletzt, weil gerne mal Schneematsch liegen bleibt, oder nach der ersten Tau- und Frostphase gefährliche Eis-Spurrillen auf den Radlwegen lauern. Doch das soll nun besser werden, verspricht die Stadt. Und bricht dabei sogar ein Tabu: Auf bestimmten Radlwegen soll testweise gesalzen werden.

Bislang war das undenkbar. Auch aus Umweltschutzgründen. Deswegen war in den vergangenen Wintern nicht für jeden Radfahrer ersichtlich, dass von den 1.000 Kilometern Radweg immerhin 155 Kilometer zum priorisierten Winterroutennetz gehören. Diese werden bislang ab einer Schneehöhe von drei Zentimetern geräumt – und zwar laut Baureferat innerhalb von zwei Stunden.

Alle weiteren Radwege und auch die Fahrradstraßen werden innerhalb von drei Stunden mit einem Winterdienstmobil geräumt. Das klingt erst mal gut, aber die Schlitterfallen entstehen meist danach. Denn die Stadt München bringt auf Neuschnee eben Splitt und........

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