München - Tag sechs nach dem Schneechaos und noch immer läuft es nicht überall auf der Schiene wieder rund. Einige Strecken waren am Mittwoch noch blockiert, wie die S4 Geltendorf. Im Netz der S-Bahn klemmt es weiterhin, während südlich von München bei der privaten Regiobahn die Züge weitgehend planmäßig fahren. Was vor allem auf strukturelle Probleme, aber auch auf die Sparpolitik der letzten Jahrzehnte zurückzuführen sei, sagen Experten.

Auf den ersten Blick scheint die Regiobahn (früher Oberlandbahn), die etwa die Strecken von München nach Bayrischzell, Lenggries und Tegernsee bedient, der reinste Musterknabe zu sein. Die Züge fahren seit Tagen wieder – meist sogar ohne Verspätung oder Ausfälle. Am Mittwoch gab es Schoko-Nikoläuse im Zug. Die Kunden wirken zufriedener als die der S-Bahn. "Das Lob gebührt uns eigentlich nicht", sagt Regiobahn-Sprecherin Annette Luckner, "da würden wir uns mit fremden Federn schmücken. Wir sind nicht für die Infrastruktur zuständig". Die DB Netz ist verantwortlich, dass der Betrieb auf der Schiene auch unter schwierigen Wetterbedingungen läuft. Für Bahnhöfe und Haltestellen gibt's die DB Station&Service. Sie kümmert sich um verschneite Bahnsteige und vereiste Treppen.

Die Deutsche Bahn (DB) verweist auf die extreme Wetterlage: zuerst viel Schnee in kürzester Zeit, dann große Kälte. Ähnlich äußert sich Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU). "Das war kein normaler Wintereinbruch, sondern die größte Schneemenge in München seit Beginn der Wetteraufzeichnung." Nur, geschneit hat es auch früher im bayerischen Winter, und das auch oft und viel. Doch da war die Bahn ganz anders aufgestellt, wie sich pensionierte Eisenbahner erinnern. In Holzkirchen gab es früher eine spezielle Einrichtung, die Bahnmeisterei. "Das waren Techniker und Handwerker, die für Notfälle rund um die Uhr bereitstanden", erinnert sich ein Pensionär. Die waren ganze Nächte unterwegs, um Strecken frei zu halten, Schnee zu räumen, Bäume zu beseitigen.

Fachleute kritisieren schon lange, dass die Bahn systematisch kaputtgespart werde. "Der Eindruck trügt leider nicht: Da ist deutlich gespart worden, zum Beispiel beim schweren Räumgerät", sagt Minister Bernreiter. Nach dem Willen der CSU-Fraktion im Landtag sollen Deutsche Bahn und die Bayerische Eisenbahngesellschaft sich im Verkehrsausschuss zu ihrem Krisenmanagement äußern. Andreas Barth vom Fahrgastverband Pro Bahn erinnert sich gut daran, dass allein auf den rund 100 Kilometern Strecke zwischen München und Garmisch einst drei Räumfahrzeuge standen: "Je eins in Garmisch, in Murnau und in Weilheim", sagt er, "die konnten sofort loslegen, wenn's geschneit hat. Heute hat die Bahn einen Pflug für 500 Schienenkilometer, das ist wirklich skandalös. Der Politik scheint es komplett egal zu sein, dass die Leute nicht zur Arbeit kommen."

Bei der DB weicht man dem Thema Sparpolitik lieber aus. Konkrete Nachfragen nach der Höhe der Einsparungen beim Personal und Material und den Auswirkungen für den Winterdienst lässt der DB-Sprecher lieber unbeantwortet. Bei der S-Bahn München gibt man sich beim Thema Wintermanagement wortkarg: Die Infrastruktur, auf der die S-Bahn München verkehrt, werde nicht von der S-Bahn betrieben, sondern eben von der DB Netz. Man sei "mit allen verfügbaren Kräften im Einsatz, um weitere Streckenabschnitte freizubekommen", macht der Sprecher den Kunden Mut. Bis Mittwochabend sollte der Betrieb fast überall im S-Bahnnetz wieder laufen.

Bemerkenswert ist, dass die S-Bahn über keine eigenen Räumfahrzeuge verfügt. Dabei gibt es einen Pflug im S-Bahn-Netz, in Holzkirchen (S3). Übrigens die Linie, die schon vor Tagen als erste auf der kompletten Strecke wieder den Betrieb aufnahm. Der Schneepflug in Holzkirchen gehört der DB, aber er steht eben nicht der S-Bahn zur Verfügung. Warum? Auch diese Frage lässt der Sprecher der S-Bahn unbeantwortet. Die Diesellokomotive, die den Schienenpflug antreibt, gehört wiederum der Regiobahn. Das ist, wie alles auf der Schiene kompliziert, aber funktioniert. "Der Pflug ist ständig unterwegs", bestätigt Annette Luckner.

Mit ein Grund weshalb es im Süden deutlich besser läuft als rund um München. Ein weiteres Problem: Bäume und Büsche stehen zu dicht an den Strecken. Bei Autobahnen ist der Abstand deutlich größer. Experten verweisen auf fehlendes Material und Personal. "Winterbetrieb ist mit viel Handarbeit und Maschineneinsatz verbunden", sagt Heino Seeger, ehemaliger Geschäftsführer der Bayerischen Oberlandbahn. "Es ist billiger, bei solchen Lagen nicht zu fahren als gegen den Schnee und die Witterungsverhältnisse anzukämpfen. Reserven kosten Geld. Deshalb wurden Reserven gestrichen: Beim Personal, bei den Zügen und beim Räumgerät", sagt Seeger.

In der Schweiz und in Österreich, wo seit Jahren viel investiert wird, läuft es besser. Beide Länder haben Experten zufolge eine bessere Winterausrüstung und bessere Räumfahrzeuge. "Das muss man sich vorstellen", wettert Andreas Barth, "die Österreicher fahren normalerweise ihren ICE von Innsbruck nach Salzburg über Rosenheim. Aber nachdem die DB Freitagabend alle Strecken auf deutschem Gebiet gesperrt hat, sind sie eine Umleitung über Österreich gefahren, über Kitzbühel, wo noch viel mehr Schnee lag als bei uns. Das war keine Dramatik für die Österreicher. Dort ist Streckenräumen was Normales. Bei uns hat die DB ihre Hausaufgaben nicht gemacht." Er erwarte, dass schleunigst mehr Schneepflüge angeschafft werden.

Die Bahn hat eigene 13 Räumfahrzeuge bei 9800 Streckenkilometern in der Region Süd plus vier multifunktionale Instandhaltungsfahrzeuge und drei Gleisarbeitsfahrzeuge. Das war's.

QOSHE - "Der Politik scheint es komplett egal zu sein": Münchens S-Bahn ... - Ralph Hub
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"Der Politik scheint es komplett egal zu sein": Münchens S-Bahn ...

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07.12.2023

München - Tag sechs nach dem Schneechaos und noch immer läuft es nicht überall auf der Schiene wieder rund. Einige Strecken waren am Mittwoch noch blockiert, wie die S4 Geltendorf. Im Netz der S-Bahn klemmt es weiterhin, während südlich von München bei der privaten Regiobahn die Züge weitgehend planmäßig fahren. Was vor allem auf strukturelle Probleme, aber auch auf die Sparpolitik der letzten Jahrzehnte zurückzuführen sei, sagen Experten.

Auf den ersten Blick scheint die Regiobahn (früher Oberlandbahn), die etwa die Strecken von München nach Bayrischzell, Lenggries und Tegernsee bedient, der reinste Musterknabe zu sein. Die Züge fahren seit Tagen wieder – meist sogar ohne Verspätung oder Ausfälle. Am Mittwoch gab es Schoko-Nikoläuse im Zug. Die Kunden wirken zufriedener als die der S-Bahn. "Das Lob gebührt uns eigentlich nicht", sagt Regiobahn-Sprecherin Annette Luckner, "da würden wir uns mit fremden Federn schmücken. Wir sind nicht für die Infrastruktur zuständig". Die DB Netz ist verantwortlich, dass der Betrieb auf der Schiene auch unter schwierigen Wetterbedingungen läuft. Für Bahnhöfe und Haltestellen gibt's die DB Station&Service. Sie kümmert sich um verschneite Bahnsteige und vereiste Treppen.

Die Deutsche Bahn (DB) verweist auf die extreme Wetterlage: zuerst viel Schnee in kürzester Zeit, dann große Kälte. Ähnlich äußert sich Bayerns........

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