München - Große Haufen von Ästen, Bäume, die ziemlich zerrupft aussehen - das sieht man gerade vielfach in der Stadt. Nach dem großen Schnee kommt das große Aufräumen. Man hat den Eindruck, diesmal haben die Bäume besonders unter der weißen Pracht gelitten. Können die Münchner Stadtbäume solche Schneemassen nicht (mehr) verkraften? Und birgt das Gefahren für die Münchner?

Wie das Baureferat auf AZ-Anfrage bestätigt, trügt der Eindruck nicht, in der ganzen Stadt seien "zahlreiche Äste abgebrochen und Gehölze unter der Schneelast umgestürzt". Das Referat erklärt, viele "Bäume hätten diesen Herbst das Laub sehr lange gehalten. "Belaubte Baumkronen sind besonders schneebruchgefährdet, weil sich der Schnee in der Krone halten kann", dementsprechend seien an diesen "vermehrt Schäden entstanden." Um die Sicherheit zu gewährleisten, habe man alle Bäume in der Zuständigkeit des Baureferats außerhalb des üblichen Turnus einer Sonderkontrolle unterzogen.

Das deckt sich mit der Einschätzung von Martin Hänsel, Geschäftsführer des Bund Naturschutz München. Schneebruch an sich sei nicht neu, erklärt er. Diesmal habe aber der nasse Schnee zu sehr großen Lasten auf den Bäumen geführt, vor allem an den noch belaubten, aber auch bei Nadelbäumen.

Denn erschwerend im wahrsten Sinne kam diesmal dazu, dass der Schnee "mit einem Mal" gekommen sei, es davor aber noch warm war. "Die Böden waren noch weich, nicht gefroren und gut durchfeuchtet", so Hänsel.

Die Bäume hätten deshalb schlechten Halt gehabt, viele seien unter der Schneelast nicht abgebrochen, sondern einfach umgefallen. "Die hat es aus dem Boden einfach rausgedrückt, die Wurzeln rausgezogen", so Hänsel. "Das ist so wie wenn sie irgendwo hochklettern und die Kante, an der sie sich festhalten wollen, ist eingeseift. Dann rutschen ihre Finger einfach ab."

Der BN hätte dies bei vielen verschiedenen Bäumen beobachtet, etwa Hainbuchen, Kirchen und Robinien. "Das ist weniger das Versagen des einzelnen Baumes oder einer Baumart, sondern eines des Standorts", so Hänsel. "Da reichte schon ein leichter Schrägstand, der ansonsten völlig unproblematisch gewesen wäre." Er betont, "die Bäume sind ja erst mit dieser zusätzlichen massiven Belastung umgefallen. Da war dann einfach eine Grenze überschritten."

All das habe natürlich auch mit dem Klimawandel zu tun. Seien es derartige starke Schneeereignisse, Dürren, Hitze und Überschwemmungsphasen, "Die Herausforderungen für unsere Bäume erhöhen sich deutlich. Der Klimawandel verschärft die Lebenssituation für die Bäume", so Hänsel. Das bedeute, "dass wir auf unsere bestehenden Bäume ein besonderes Auge werfen müssen". Etwa durch möglichst optimale Wuchsbedingungen bei Neupflanzungen.

Die Stadt München sei hier "auf einem sehr guten Weg", Pflanzgruben etwa seien deutlich größer als in anderen Städten. Trotzdem sei auch hier "noch Luft nach oben". 36 Kubikmeter Bodenvolumen bekomme hier der einzelne Baum, in vielen anderen Kommunen, seien das oft nur 10 oder 12 Kubikmeter. "Aber gemessen an den Herausforderungen ist es eher die untere Grenze dessen was nötig wäre."

Auch werde in München mit einem besonderen Substrat gearbeitet, das sich möglichst nicht so schnell verdichtet, den Wurzeln guten Halt bietet, und Wasser auch für eine längere Zeit speichert. Das sei richtig und müsse, neben ausreichend Volumen, unbedingt beachtet werden, so Hänsel.

Zudem müssten die Bäume auch im Alltag geschützt werden. Bei regelmäßigen Kontrollen dürfe nicht nur in die Kronen sondern auch auf den Wurzelbereich geschaut werden. Viele Bäume seien mit sogenannten Baumscheiben geschützt, durch die Wasser dringen kann und die das Erdreich vor Verdichtung schützen sollen. Manche Bäumen würde dort aber hinauswachsen, hier sei etwa die Stadt zuständig. Doch auch "wir alle sind gefragt", so Hänsel, "es müsste zum Beispiel absolut tabu sein in Baumgräben zu parken".

Dass man sich künftig nach komplett neuen Baumarten umsehen müsste, das sieht Hänsel nur bedingt so. "Das hängt ganz wesentlich davon ab, bei welchem Plus an Temperatur wird zum Schluss landen", so Hänsel. "Wenn wir es schaffen, unter den zwei Grad zu bleiben, was ja auch aus vielen anderen Gründen, also auch aus einem Selbsterhaltungstrieb eigentlich die oberste Prämisse sein sollte, können wir wohl – so die augenblickliche Meinung – mit unseren einheimischen Bäumen im wesentlichen weiterplanen, aber wenn wir selbst dieses Ziel reißen, dann wird es schwierig."

Beispiele für Baumarten, die es bei uns bald nur noch wenig oder nicht mehr geben wird, gebe es dennoch aber bereits. Die Waldkiefer beispielsweise, habe ein Problem mit der Hitze, so Hänsel. "Oder die Fichte, die wir als Wirtschafts-Baumart auf ganz vielen Flächen oder auch in vielen Forsten rund um München haben. Die wird in dieser Verbreitung mit Sicherheit keine Rolle mehr spielen in Zukunft".

Die Empfehlung sei deshalb nicht weltweit, sondern "angedockt an unsere aktuelle Klimahülle" nach Arten zu schauen, so Hänsel. Etwa nach Südosteuropa hin, und zu kucken, welche Baumarten es dort gibt und welche Rolle sie zukünftig bei uns spielen können.

Im Übrigen, dass gelegentlich Äste von Bäumen brechen, sei "auch bei größter Sorgfalt" nicht zu verhindern, so Hänsel. "Weil es halt Lebewesen sind und keine technischen Bauwerke." "Gestresste Bäume schwächeln aber natürlich eher".

Hänsel appelliert daher an den Baumschutz und Baumerhalt, um den Bestand zu sichern: "Wir brauchen die Bäume so nötig, um unsere Temperatur in der Stadt in dem Rahmen zu halten, der für uns als Menschen noch zuträglich ist." Das müsste beispielsweise bei jedem Bauprojekt oberste Maxime sein, so der Experte. "Wir schauen so ein bisschen bang in die Zukunft, was passiert und vergessen dabei, dass wir ganz viel tun könnten, um für die Zukunft besser aufgestellt zu sein."

QOSHE - Nach Zerstörung durch Wintereinbruch: Braucht München neue Bäume? - Myriam Siegert
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Nach Zerstörung durch Wintereinbruch: Braucht München neue Bäume?

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19.12.2023

München - Große Haufen von Ästen, Bäume, die ziemlich zerrupft aussehen - das sieht man gerade vielfach in der Stadt. Nach dem großen Schnee kommt das große Aufräumen. Man hat den Eindruck, diesmal haben die Bäume besonders unter der weißen Pracht gelitten. Können die Münchner Stadtbäume solche Schneemassen nicht (mehr) verkraften? Und birgt das Gefahren für die Münchner?

Wie das Baureferat auf AZ-Anfrage bestätigt, trügt der Eindruck nicht, in der ganzen Stadt seien "zahlreiche Äste abgebrochen und Gehölze unter der Schneelast umgestürzt". Das Referat erklärt, viele "Bäume hätten diesen Herbst das Laub sehr lange gehalten. "Belaubte Baumkronen sind besonders schneebruchgefährdet, weil sich der Schnee in der Krone halten kann", dementsprechend seien an diesen "vermehrt Schäden entstanden." Um die Sicherheit zu gewährleisten, habe man alle Bäume in der Zuständigkeit des Baureferats außerhalb des üblichen Turnus einer Sonderkontrolle unterzogen.

Das deckt sich mit der Einschätzung von Martin Hänsel, Geschäftsführer des Bund Naturschutz München. Schneebruch an sich sei nicht neu, erklärt er. Diesmal habe aber der nasse Schnee zu sehr großen Lasten auf den Bäumen geführt, vor allem an den noch belaubten, aber auch bei Nadelbäumen.

Denn erschwerend im wahrsten Sinne kam diesmal dazu, dass der Schnee "mit einem Mal" gekommen sei, es davor aber noch warm war. "Die Böden waren noch weich, nicht gefroren und gut........

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