München - Was ist, was bleibt, was geht, was besteht?

Eines der großen Verdienste von Franz Beckenbauer, dem Fußball-Kaiser, dem der Herrgott persönlich Talent, Charisma und Charme mit dem Füllhorn über das erlauchte Haupt ausgeschüttet zu haben schien, war, dass er die Leichtigkeit des Seins in den bis dahin knochentrockenen Blutgrätschensport Fußball brachte.

Auf dem Platz mit seiner majestätischen Spielweise, aufgrund derer er nach 90 Minute die Spielweise oft im strahlendenweißen Trikot verließ, während die Jerseys der anderen von Blut, Dreck und Schweiß befleckt waren. Aber auch durch seine lockere Art, in der er alle Probleme wegfranzeln konnte. "Geht's raus und spielt's Fußball", hat er als Trainer der deutschen Elf vor dem WM-Finale 1990 gegen Argentinien um die Hand Gottes - Diego Maradona - mit auf den Weg gegeben. Angesichts dieser fundamentalen Weisheit brachten ihm seine Jünger mit dem Bundesadler auf der Brust den WM-Pokal nach dem 1:0 im Endspiel als Opfergabe dar.

"Geht's raus und spielt's Fußball" - das war Beckenbauer pur, nix dramatischer machen als es ist. Er konnte perfekt simplifizieren: Fußball ist eben - bei aller Taktik - ein Spiel. Wer spielt, hat Spaß, wer Spaß hat, wird die puren Arbeiter, die Angsterfüllten meist bezwingen.

Aber da war soviel, was diesen Mensch gewordenen Mythos auszeichnete. Bei aller Leichtigkeit des Mannes aus dem Arbeiterviertel Giesing, der am Sonntag im Alter von 78 Jahren verstorben ist, war er auch ein Malocher, ein Mann voller Ungeduld, der schnell vom milden zum wilden Kaiser werden konnte, wenn die Minderbegabten in seinen Augen wie Minderbemittelte agierten. "Glück habe ich bei mir von vorneherein nie ins Spiel kommen lassen. Alles, was ich in meinem Leben gemacht habe, war mit harter Arbeit und hohem Aufwand verbunden", sagte Beckenbauer der AZ in einem Interview im Jahr 2006.

Doch der Franz, wie ihn alle nannten und kannten, hatte noch eine ganz andere Seite. Eine, die er nur in den stillen, den verborgenen, den geheimen Momenten, dann, wenn die gleißenden Scheinwerfer aus waren, offenbarte. Beckenbauer war ein Suchender. Nach Antworten, nach Wahrheiten, nach einem höheren Sinn im Leben. Genau so offen, wie er allen Menschen begegnete, er jeden als ebenbürtig ansah, war er gegenüber allen Weltanschauungen, Religionen, Überzeugungen und Vorlieben.

Beckenbauer war immer von Beruf in erster Linie Mensch - und Menschenfreund. Jederzeit war er bereit, in philosophische Diskussion und Diskurse einzutauchen. Seine Giesinger Welt war ihm zu klein. Als Fußballer - und insbesondere als Mensch.

Er, der im Sternzeichen Jungfrau geboren war, beschäftigte sich mit Astrologie. "Vielleicht kommt mir mein Sternzeichen entgegen. Jungfrauen sagt man den Hang zur Perfektion nach. Immer nachzufragen, alles zu hinterfragen", sagte Beckenbauer mal der AZ. Der Fußball-Kaiser war eine typische Jungfrau.

Er beschäftigte sich mit dem Buddhismus, las die Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Immanuel Kant, Arthur Schopenhauer. Und doch verlor er bei all der Schwere der Gedanken nie seine Leichtigkeit. "Sokrates, Aristoteles, Platon und diese Leute haben sich vor 2.000 Jahren Gedanken gemacht, da sind wir noch auf Bäumen gesessen und haben uns vor den Wildschweinen gefürchtet. Seither haben sich nur ganz wenige weiterentwickelt", sagte er etwa über die großen Denker der Antike.

Über den Beruf Fußballer meinte der Franz-Philosoph: "Ich mache ja nur deshalb seit 33 Jahren Fußball, weil ich nichts anderes kann. Wenn ich zum Beispiel einen Schopenhauer lese - ich verstehe ihn nicht."

Das hat Beckenbauer mit den allermeisten gemein, die dem Misanthropen und seiner Überzeugung, dass der Welt ein irrationales Prinzip zugrunde liegt, nicht viel abgewinnen können.

Ein Thema, das Beckenbauer sehr beschäftigte, war der Glauben - und der Tod. Zu oft war der Tod in all seiner fürchterlichen Finalität in den letzten Jahren in sein Leben getreten, hatte dieser seinen Glauben auf eine harte, schier unmenschliche Probe gestellt. Der Tod seines Sohnes Stephan, der am 31. Juli 2015 in Alter von 46 Jahren einem Hirntumor erlegen ist, hat Beckenbauer gebrochen. Danach war er nie mehr derselbe.

"Ich weiß nicht, ob man den Tod seines Kindes jemals verarbeiten kann. Wahrscheinlich nicht", sagte Franz Beckenbauer damals der "Bild". Zwei Jahre hatte er nach der Erstdiagnose wirklich alles dafür getan, seinen Sohn den Fängen des Todes zu reißen. Er ging mit ihm zu Spezialisten in die Neurologischen Abteilung der Klinik Heidelberg - überall gab es nur resigniertes Kopfschütteln. Sie versuchten eine neue Immuntherapie. Es half alles nichts - die Welt war danach für Franz Beckenbauer nicht mehr dieselbe. "Er war ohnmächtig, dem Sterben seines Sohnes gegenüber, obwohl er alles in der Welt getan hat, damit das nicht passiert. Das hat ihn sehr verändert", sagte seine frühere Ehefrau Diana Sandmann.

Die Trauer ließ Beckenbauer nicht mehr los, sein eigener Verfall wurde immer offensichtlicher. Augeninfarkt, mehrere Operationen am Herzen, Parkinson, beginnende Demenz, er war bettlägerig, konnte kaum noch sprechen. Der Tod seines Sohnes war der Anfang vom Ende des Kaisers, jede Leichtigkeit war ihm abhandengekommen.

Doch seinen Glauben hat er trotzdem nicht verloren. "Ich bete jeden Tag das Vaterunser. Es ist für mich das Gebet der Gebete, es gibt mir Kraft und Stärke", sagte Beckenbauer einst: "Ich bin Katholik. Das steht nicht nur in meinem Pass, ich lebe auch nach christlichen Werten. Dazu gehören selbstverständlich auch das Gebet und der Kirchenbesuch."

Als eine der prägendsten Begegnungen in seinem Leben bezeichnete er das Treffen mit dem damaligen Papst Benedikt XVI., der gut ein Jahr vor Beckenbauer verstorben ist. "Ich habe viele große Persönlichkeiten getroffen, aber diese Begegnung war einer der bewegendsten Momente in meinem Leben, ich werde ihn nie vergessen."

Beckenbauer war im Christentum verwurzelt, doch Dogmen waren nie das Seine, er musste die Welt auf seine eigene Franz-Art verstehen. "Ich glaube nicht an Wiedergeburt, ich glaube an ein Weiterleben. Jeder Mensch hat eine Seele, einen Chip, ein Atom. Ich bin überzeugt davon, dass diese Seele wieder dahin zurückgeht, wo sie herkommt, nämlich aus dem Weltall", sagte er in einem Weihnachtsinterview mal der AZ: "Ob sie wieder gebraucht wird auf der Erde oder sonst wo? Vielleicht gibt es im Weltraum andere Stationen, ähnlich wie die Erde. Das wissen wir nicht. In unserem Sonnensystem scheidet das aus: Die hätten sich schon gemeldet bei uns. Aber es gibt noch Milliarden anderer Sonnensysteme. Wir können doch nicht ernsthaft glauben, dass wir die Einzigen sind, die in dieser Form existieren. In meiner kindlichen Vorstellung ist es so, dass in anderen Sonnensystemen ähnliches Leben ist und unsere Seelen dort vielleicht hingehen. Ich glaube, dass die Seele weiterlebt. Das ist meine Hoffnung. Wo wäre sonst der Sinn des Lebens, wenn es nicht irgendwo weitergehen würde? Geboren werden, wieder abtreten und das war's? Das kann ich mir nicht vorstellen."

Und er konnte sich nicht vorstellen ein anderer zu sein, sich zu verstellen. Auf die Frage, ob es leicht sei, Franz Beckenbauer zu sein, meinte er: "Für mich schon." Da war sie die Leichtigkeit des Franz-schen Seins.

Was ist, was bleibt, was geht, was besteht? Franz bleibt, denn seine Seele lebt weiter - und er in den Herzen der Menschen.

QOSHE - "Geboren werden, abtreten, das war's?": Wie der Kaiser wirklich tickte - Matthias Kerber
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"Geboren werden, abtreten, das war's?": Wie der Kaiser wirklich tickte

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10.01.2024

München - Was ist, was bleibt, was geht, was besteht?

Eines der großen Verdienste von Franz Beckenbauer, dem Fußball-Kaiser, dem der Herrgott persönlich Talent, Charisma und Charme mit dem Füllhorn über das erlauchte Haupt ausgeschüttet zu haben schien, war, dass er die Leichtigkeit des Seins in den bis dahin knochentrockenen Blutgrätschensport Fußball brachte.

Auf dem Platz mit seiner majestätischen Spielweise, aufgrund derer er nach 90 Minute die Spielweise oft im strahlendenweißen Trikot verließ, während die Jerseys der anderen von Blut, Dreck und Schweiß befleckt waren. Aber auch durch seine lockere Art, in der er alle Probleme wegfranzeln konnte. "Geht's raus und spielt's Fußball", hat er als Trainer der deutschen Elf vor dem WM-Finale 1990 gegen Argentinien um die Hand Gottes - Diego Maradona - mit auf den Weg gegeben. Angesichts dieser fundamentalen Weisheit brachten ihm seine Jünger mit dem Bundesadler auf der Brust den WM-Pokal nach dem 1:0 im Endspiel als Opfergabe dar.

"Geht's raus und spielt's Fußball" - das war Beckenbauer pur, nix dramatischer machen als es ist. Er konnte perfekt simplifizieren: Fußball ist eben - bei aller Taktik - ein Spiel. Wer spielt, hat Spaß, wer Spaß hat, wird die puren Arbeiter, die Angsterfüllten meist bezwingen.

Aber da war soviel, was diesen Mensch gewordenen Mythos auszeichnete. Bei aller Leichtigkeit des Mannes aus dem Arbeiterviertel Giesing, der am Sonntag im Alter von 78 Jahren verstorben ist, war er auch ein Malocher, ein Mann voller Ungeduld, der schnell vom milden zum wilden Kaiser werden konnte, wenn die Minderbegabten in seinen Augen wie Minderbemittelte agierten. "Glück habe ich bei mir von vorneherein nie ins Spiel kommen lassen. Alles, was ich in meinem Leben gemacht habe, war mit harter Arbeit und hohem Aufwand........

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