München - Verwahrloste Wohnungen gibt es in München mehr als bekannt: 80 bis 100 chaotische Wohnungen räumt das H-Team zusammen mit Klienten im Jahr. Der mildtätige Verein in Sendling bietet seit 1990 praktische Hilfe für Menschen in überfüllten und zugestellten Wohnungen an – er bietet auch das bundesweite Messie-Hilfe Telefon an. Und weitere Hilfen für Münchner in Not. 50 fest angestellte und 20 ehrenamtliche Mitarbeiter hat das Team. Letztes Jahr konnten sie über 3000 Menschen in der Stadt helfen. Ein Gespräch mit H-Team-Sprecher Torsten Sowa (56) über die Herausforderungen, die das mit sich bringt:

AZ: Was für Fälle ploppen über Ihr Messie-Hilfe-Telefon auf?
TORSTEN SOWA: Betroffene, Verwandte, Vermieter oder Kollegen von Beratungsstellen rufen uns aus ganz Deutschland zum Thema Messie oder bei Verdacht auf eine verwahrloste Wohnung an. Sie möchten unseren Rat oder Kontaktadressen in ihrer Nähe. Es gibt Wohnungen voller Mäuse oder auch Wohnungen, die bis zur Decke vollgestellt sind – mit einer Mulde als Schlafplatz. Unsere Hilfe für Münchner Bürgerinnen und Bürger soll das Schlimmste verhindern. Oberstes Ziel ist der Erhalt der Wohnung für den Klienten.

Wer meldet sich noch bei Ihnen?
Die Bandbreite ist groß. In unseren Abteilungen der Rechts- oder Sozialberatung meldet sich zum Beispiel eine verarmte Rentnerin, die eine neue Matratze braucht. Oder jemand will wissen, ob eine Vergewaltigung verjährt – und wenn ja, nach wie viel Jahren. Oder da ist der Mann, der ein Darlehen vom Jobcenter erhalten hat, kann es aber nicht zurückzahlen.

Wenn die Fälle sehr verzwickt oder zeitintensiv sind, schicken Behörden dann Sie bei bedürftigen Münchnern vorbei?
Das nimmt zu. Denn wir beraten ohne große Voranmeldung zu komplizierten behördlichen Bescheiden, Anträgen und Widersprüchen zum Beispiel vom Jobcenter. Das läuft unter Sozialberatung. Ein Richter, der in Rente ist, und Fachanwälte machen die kostenlose Rechtsberatung. Die Anwälte sind zwar noch voll in ihrem Business, wollen jedoch der Gesellschaft etwas zurückgeben. Für ihre Expertise in allen Rechtsgebieten, darunter im Erb- und Mietrecht, sind wir sehr dankbar.

Bußgelder und Geldauflagen von verurteilten Personen fließen bisweilen der Arbeit des H-Teams zu.
Nur ein Bruchteil unseres Geldes kommt vom Gericht. Damit ist nicht planbar. Die Stadt bezuschusst einige unserer Abteilungen. Stiftungen und private Spender unterstützen uns. Die Zeitschrift "Biss" hat zum Beispiel unser Messie-Hilfe-Telefon in der Anfangsphase finanziell unterstützt und unsere Sozialberatung.

Sie leisten Soforthilfe – was heißt das konkret?
Wenn jemand nichts mehr zu essen hat, können wir in bestimmten Fällen mit Lebensmittelgutscheinen helfen oder mit unserem sogenannten Feuerwehrtopf. Schnelle Hilfe ist doppelte Hilfe, ist unser Wahlspruch. Behörden sind manchmal gestresst oder sie werden nicht erreicht. Deshalb bekommen Münchner in Not immer öfter den Tipp: Gehen Sie doch zum H-Team!

Jobcenter, Kindergeldstelle, Wohngeldstelle sind überflutet. Wieso werden bei Sprachbarrieren Leute zu Ihnen geschickt?
Bei uns arbeiten unter anderem Berater, die andere Sprachen können. Aber die Amtssprache ist deutsch. Es gibt ja spezielle Migrationsberatungsstellen in München. Aber wir nehmen uns die Zeit zu schauen, was ist jetzt wirklich los bei diesem Menschen. Die Leute fühlen sich frei, all ihre Fragen zu stellen, weil mehr Vertrauen da ist als zum Amt. Oftmals kommen im Gespräch dann sehr viele Themen hoch.

Wie schnell gibt es überhaupt Hilfe?
Am Telefon können bei uns oft Anrufer direkt beraten werden. In der Sozial- und Rechtsberatung bekommen bedürftige Personen in der Regel in der gleichen oder in der Folgewoche einen Termin. Bei der Schuldnerberatung ist die Wartezeit länger, zirka zwei bis drei Monate.

Wie helfen Sie Schuldnern, die zu Ihnen kommen?
Mit Beratung und konkreter Unterstützung, zum Beispiel schreiben wir Gläubiger an oder führen Vergleichsverhandlungen oder machen Insolvenzanträge mit den Betroffenen. Unsere Wanderausstellung: Schulden sind doof und machen krank (mit 17 Aufstellern), können Schulen oder Ämter bei uns gegen Gebühr leihen.

Haben Sie Praktikanten aus dem Studium der Sozialen Arbeit?
Ja. Wir suchen Nachwuchs, möchten uns verjüngen. Junge Leute sind zum Beispiel sehr beeindruckt und überrascht, was es für Wohnsituationen in München gibt. So eine Situation zu erleben, ist sehr eigen. Ich war selber mehrmals in Messie-Wohnungen. Es hat mich aufgewühlt. Es ist grenzwertig, in extrem chaotische Wohnungen hineinzugehen. Immer in Zusammenarbeit mit dem Klienten schauen wir, dass wir die Situation entschärfen.

Sie erleben auch, dass manche Ihrer Klienten nicht einfach sind.
Die Beratung ist diffizil. Geduld ist sehr wichtig. Wir betreuen Klienten im schwierigen Umfeld. Bei uns schlagen auch Leute auf, die woanders abgelehnt wurden.

Was lieben Sie an ihrer Arbeit?
Ich war früher in einer Werbe- und PR-Agentur und habe mich entschieden, Öffentlichkeitsarbeit für einen sozialen Verein zu machen. Wir können zirka 100 Münchner im Jahr vor der Obdachlosigkeit bewahren. Und machen das mit Herzblut! Unser Team ist einzigartig, weil wir uns Themen-übergreifend super austauschen. Die Klienten profitieren. Und für meine Kollegen ist das auch gut. Sie stehen nicht alleine da.

Das H-Team ist auf Spenden angewiesen: Raiffeisenbank München, IBAN: DE38 7016 9466 0000 7034 78, BIC: GENODEF1M03, Verwendungszweck: Spende

QOSHE - Verwahrloste Wohnungen in München: Wo es schnelle Messie-Hilfe gibt - Eva Von Steinburg
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Verwahrloste Wohnungen in München: Wo es schnelle Messie-Hilfe gibt

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09.01.2024

München - Verwahrloste Wohnungen gibt es in München mehr als bekannt: 80 bis 100 chaotische Wohnungen räumt das H-Team zusammen mit Klienten im Jahr. Der mildtätige Verein in Sendling bietet seit 1990 praktische Hilfe für Menschen in überfüllten und zugestellten Wohnungen an – er bietet auch das bundesweite Messie-Hilfe Telefon an. Und weitere Hilfen für Münchner in Not. 50 fest angestellte und 20 ehrenamtliche Mitarbeiter hat das Team. Letztes Jahr konnten sie über 3000 Menschen in der Stadt helfen. Ein Gespräch mit H-Team-Sprecher Torsten Sowa (56) über die Herausforderungen, die das mit sich bringt:

AZ: Was für Fälle ploppen über Ihr Messie-Hilfe-Telefon auf?
TORSTEN SOWA: Betroffene, Verwandte, Vermieter oder Kollegen von Beratungsstellen rufen uns aus ganz Deutschland zum Thema Messie oder bei Verdacht auf eine verwahrloste Wohnung an. Sie möchten unseren Rat oder Kontaktadressen in ihrer Nähe. Es gibt Wohnungen voller Mäuse oder auch Wohnungen, die bis zur Decke vollgestellt sind – mit einer Mulde als Schlafplatz. Unsere Hilfe für Münchner Bürgerinnen und Bürger soll das Schlimmste verhindern. Oberstes Ziel ist der Erhalt der Wohnung für den Klienten.

Wer meldet sich noch bei Ihnen?
Die Bandbreite ist groß. In unseren Abteilungen der Rechts- oder Sozialberatung meldet sich zum Beispiel eine verarmte Rentnerin, die eine neue Matratze........

© Abendzeitung München


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